Aktuell – 18.03.2024

Adrienne Fichter: «Auch wir Journalisten werden technisch überwacht»

Vor der Abstimmung zum Nachrichtendienstgesetz versprach der Bundesrat, dass es in der Schweiz keine flächendeckende Überwachung der Bevölkerung geben werde. In einer aufsehenerregenden Recherche für die «Republik» hat Adrienne Fichter gezeigt, dass die Kabelaufklärung heute genau das ist: ein Programm zur Massenüberwachung. Stellt sich die Frage, was das für Journalistinnen und Journalisten bedeutet, zum Beispiel, wenn es darum geht, eine Quelle zu schützen.

Edito: Du hast zur Überwachung im Internet recherchiert, der sogenannten Kabelaufklärung, und bist zum Schluss gekommen, dass der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) die Kommunikation inhaltlich liest und auswertet. Wie funktioniert das?

Adrienne Fichter: Die Kabelaufklärung ist ein Instrument zur Prävention von Terror und Spionage, wie es im Nachrichtendienstgesetz geregelt ist. Es ist ein Eingriff in unsere digitale Privatsphäre, das war im Vorfeld der Abstimmung auch so kommuniziert. Ziel ist es, die Kommunikationsdaten von Terroristinnen abzufangen.

Was heisst das konkret?

Im Auftrag des NDB wird die Kommunikation über Internet-Kabelnetze überwacht. Dabei wird die Kommunikation nach bestimmten Suchbegriffen, sogenannten «Selektoren», durchsucht. Bei einem Treffer wird der gesamte Datenverkehr ins Zentrum elektronische Operationen (ZEO) des Verteidigungs­departements in Zimmerwald (BE) umgeleitet. Da werden die Signale umgewandelt in Kommunikationsdaten, die Daten werden ausgewertet und sortiert. Das Ergebnis meiner Recherche ist, dass das, was uns versprochen wurde, dass also Kabelaufklärung ein gezieltes Instrument sei, das nur gezielt eingesetzt werden soll, technisch gar nicht möglich ist und der NDB dies selbst auch einräumt. Wir sind alle davon betroffen. Auch wir Journalisten werden technisch überwacht.

Der NDB hat immer wieder versichert, dass er mit Kabelaufklärung keine Schweizer Bürger überwache. Also sind wir beide sicher! Oder?

Nein, das sind wir nicht. Seit Inkrafttreten des Gesetzes 2017 wird der Internet­verkehr von Schweizerinnen massenhaft mitgelesen und nach etwa schätzungsweise 50 bis 60 Suchbegriffen, die vom Nachrichtendienst vorgegeben sind, durchsucht und ausgewertet. Laut Gesetz sind das zum Beispiel Namen von Waffensystemen. Die Suchbegriffe müssen vom Bundesverwaltungsgericht genehmigt werden. Da steckt ein strenger Prozess dahinter. Aber es sind viele Begriffe, die vorgegeben werden. Wer das Internet nutzt, kann davon betroffen sein, etwa je nachdem, welche Webseiten er besucht. Wir müssen davon ausgehen, dass wir alle Internetprovider haben, die der Kabelaufklärung unterliegen. Es kann sich niemand davon ausnehmen.

Aber der Bund interessiert sich sicher nicht für meine Mails. Die sind doch völlig unwichtig!

E-Mails sind ohnehin ein schwieriges Thema, weil E-Mail kein sicheres Kommunikationsmittel ist. Wir wissen heute, dass E-Mails ins ZEO ausgeleitet werden können. Dann sieht man je nach Verschlüsselung die Metadaten: Wer kommuniziert mit wem? Wie schwer war die Mail? Vielleicht denken die Analysten: Zurzeit ist es nicht interessant, aber es könnte interessant werden. Dann werden die Daten gespeichert. Man darf die herausgefilterten Daten fünf Jahre lang speichern. Aus E-Mails kann man viel herauslesen, ohne die eigentliche Mail zu lesen. Dies im Gegensatz zu verschlüsselten Messengern.

Was heisst das für den journalistischen Quellenschutz?

Die Recherche belegt, dass wir technisch den Quellenschutz als Journalist:innen nicht wirklich gewährleisten können. Niemand ist von der Kabelaufklärung ausgenommen, auch Journalist:innen nicht. Übrigens auch Anwält:innen nicht. Ein Beleg dafür hat übrigens NDB-Direktor Christian Dussey gleich selbst geliefert. Er hat erklärt, dass seit 2017 in keinem der Suchresultate eine Kommunikation zwischen einem Journalisten und seiner Quelle erkannt worden sei. Er sagte zudem, dass zur Abwehr einer konkreten Bedrohung die Kommunikation auch an den NDB weitergeleitet werde. Zum Beispiel dann, wenn ein Journalist eine Mail mit einem potenziellen Terroristen wechselt. Auch wir Journalist:innen sind also von der Überwachung betroffen.

Können wir Journalist:innen uns und unsere Quellen vor dieser Überwachung schützen? Was unternimmst Du selbst, um einer Überwachung zu entgehen?

Wir können uns nicht davor schützen, dass unsere Kommunikation nach Zimmerwald geleitet wird. Aber wir können Vorkehrungen treffen, dass diese Daten möglichst nicht brauchbar sind. Wir können die Nachrichten verschlüsseln, wir können Messenger-Apps nutzen, die End-to-End verschlüsselt sind. Dann sieht man praktisch nichts. Ein Rätsel bleibt mir, warum eine Kommunikation ausgeleitet wird, wenn sie verschlüsselt ist.

Insgesamt ist es nach Deiner Recherche recht ruhig geblieben in der Schweiz. Ist es den Menschen, ist es den Journalist:innen egal, wenn sie überwacht werden?

Das ist eine gute Frage. Politisch beginnt jetzt die zweite Revision zum Nachrichtendienstgesetzt. Da tut sich schon einiges. Zwar haben viele Medien die Recherche aufgenommen, aber in den Medienhäusern wird wenig Aufklärung zu dem Thema betrieben. Die Journalist:innen sind sich selbst überlassen, jede und jeder muss für sich selbst sorgen. Wir versuchen bei der «Republik» intern zu zeigen, wie es geht und dabei auch zu unterstützen. Aber das Bewusstsein für den technischen Quellenschutz ist allgemein viel zu wenig vorhanden.


Tipps von Adrienne Fichter für Journalist:innen

  • Nutz als Messenger Threema oder Signal. Die verfügen über eine End-to-End-Verschlüsselung. Sie verfügen nicht über den Schlüssel meiner Kommunikation und könnten ihn also auch nicht herausrücken, wenn eine Strafverfolgungsbehörde anklopft.
  • Für heikle E-Mails nutz PGP-Verschlüsselung. Verschick solche Mails also über einen externen E-Mail-Provider mit einem Programm wie Thunderbird und der Verschlüsselungsmethode PGP. E-Mail ist aber immer weniger sicher als ein Messenger.
  • Reduzier bei heiklen Themen die digitale Kommunikation auf ein absolutes Mindestmass.
  • Wenn Du eine Quelle triffst, schalte das Handy aus oder lass es gleich zu Hause. Mach Dir von Hand Notizen auf Papier. Nur das ist hundert Prozent sicher. Das gilt nicht nur für den Nachrichtendienst, sondern auch für die Strafverfolgungsbehörden.

Der Bund überwacht uns alle: Recherche von Adrienne Fichter in der «Republik»

1 Kommentar

#1

Von JLloyd
21.03.2024
"Ein Rätsel bleibt mir, warum eine Kommunikation ausgeleitet wird, wenn sie verschlüsselt ist." Das Prinzip "Save now, dectypt later". Heute hat man nur die Metadaten, aber morgen mit Hilfe leistungsfähigerer Computer dann auch den Rest.

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