Regeln zu journalistischen Interviews gibt es, Rechtssicherheit dagegen wenig.
Von Manuel Bertschi
Hier wäre ein brisantes Interview mit Ruag-CEO Brigitte Beck – doch sie verhinderte es», titelten die Blätter von CH Media im vergangenen Frühjahr. Zum Hintergrund: Die damalige Ruag-Chefin sagte für ein Interview mit CH Media zu, erhielt vorgängig einen Fragekatalog, nahm dazu mündlich Stellung und verweigerte dennoch die Veröffentlichung des bereits abgetippten Interviews.
Stattdessen, so CH Media, habe Beck das Interview neu umgeschrieben, was CH Media wiederum so nicht publizieren wollte. CH Media sah letztlich von der Publikation eines nicht autorisierten Interviews ab, schrieb aber über den aufgezeigten Hintergrund dieses Interviews. So blieb für Aussenstehende der Eindruck haften, als hätten alle Beteiligten verloren: Brigitte Beck, die Ruag und genauso CH Media.
Rechtliche und ethische Hürden
Dabei scheint das journalistische Mittel des Interviews auf den ersten Blick trivial: Auf Fragen folgen Antworten und all dies wird publiziert. Bei genauerer Betrachtung sind bei Interviewsituationen aber rechtliche wie ethische Hürden zu beachten, die auf beiden Seiten zu Unsicherheiten führen können. So offenbar geschehen im geschilderten Fall Beck/CH Media. Aus juristischer Sicht steht das Recht am eigenen Wort als Teil des Persönlichkeitsschutzes im Vordergrund, ergänzend dazu der Datenschutz. Den Betroffenen steht damit das Recht zu, selbst über die Verwendung ihrer Worte zu bestimmen. Dies schliesst die Möglichkeit ein, eine Einwilligung zur Verbreitung ihrer Aussagen zu widerrufen.
Diese Grundsätze fügen sich im Zusammenhang mit Medieninterviews allerdings nur bedingt ein. Denn die Arbeit der Medienschaffenden würde ad absurdum geführt, wenn jedes Interview von den Interviewten widerrufen oder umgeschrieben werden könnte. Die Frage, inwiefern ein Interview widerrufen werden darf, wurde in der Schweiz, soweit ersichtlich, noch nicht höchstrichterlich geklärt. Deshalb verbleiben (Rechts-)Unsicherheiten darüber, wie im Konfliktfall vorzugehen ist.
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Keine wesentlichen Änderungen
Weitaus klarer scheint die medienethische Praxis zu den Abläufen eines Interviews. Ob mit oder ohne vorgängige Zustellung eines Fragekatalogs: Die Interviewten erhalten ihre Antworten im Normalfall zur Autorisierung vor Publikation zugestellt. Die Richtlinien des Schweizer Presserats setzen ebenso voraus, dass Interviewte im Zuge der Autorisierung keine wesentlichen Änderungen vornehmen dürfen. Kommt zwischen den Interviewten und den Medienschaffenden keine Einigung zustanden, so erlaubt der Presserat den Medienschaffenden, auf eine Publikation zu verzichten oder den Vorgang transparent zu machen. CH Media hat im eingangs erläuterten Fall Beck von beidem Gebrauch gemacht.
Entscheidend für die Frage, wie im Konfliktfall Medienschaffende und Interviewte zueinander stehen, ist letztlich, welche vorgängigen Abmachungen getroffen wurden. Abgesehen von der Autorisierungsmöglichkeit wird erfahrungsgemäss wenig bis nichts vereinbart. Empfehlenswert wäre aber grade bei Interviews mit voraussichtlichem Konfliktpotenzial, wenn beide Seiten vorgängig Bedingungen definieren und sich darauf einigen. Zu Beweiszwecken hilft eine entsprechende Verschriftlichung. Denn ein Interview erinnert letztlich an einen Vertrag, den niemand eingehen muss. Um «weichgespülte» Interviews zu vermeiden, hat der Club der Zürcher Wirtschaftsjournalisten 2019 eine brancheninterne Vereinbarung unterzeichnet. Damit erinnern sich die unterzeichnenden Medienschaffenden gleich selbst daran, die Interviewten vorgängig über die «verbindlichen Spielregeln» zu informieren. Zu den Mitunterzeichnern gehörte damals auch der Wirtschaftschef von CH Media. Ob CH Media im Zuge des erläuterten Interviews mit Brigitte Beck diese über die Interviewbedingungen informierte, ist nicht bekannt. Falls ja, wäre die Publikation des ursprünglichen Interviews möglicherweise gerechtfertigt gewesen.
Manuel Bertschi ist Rechtsanwalt bei Zulauf Partner (Zürich) und Spezialist für Medien- und Urheberrecht.