«Es fehlt auf allen Ebenen an Wertschätzung»: Dennis Bühler (Bild: zvg)

Aktuell – 24.04.2024

Dennis Bühler: «Unsere Branche hat ein Problem mit Wertschätzung»

Mindestens 96 Journalistinnen und Journalisten sind 2023 in der Schweiz aus dem Beruf ausgestiegen. Das ist das Resultat einer Recherche von Philipp Albrecht und Dennis Bühler: Bereits zum vierten Mal hat das Onlinemagazin «Republik» die Aussteiger aus den Medien gezählt. Gefunden haben sie jene Berufskollegen, deren Ausstieg publik wurde. Die Deutschschweiz ist gut dokumentiert, vor allem in der Romandie und im Tessin dürfte die Dunkelziffer dagegen gross sein. Warum kehren so viele Medienschaffende der Branche den Rücken? «Es fehlt auf allen Ebenen an Wertschätzung», sagt Dennis Bühler gegenüber «Edito».

Franziska Pfister hat bei der NZZ gearbeitet, jetzt ist sie Sprecherin von Sunrise. Oliver Washington war eine der prägenden Stimmen von Radio SRF, jetzt ist er Kommunikationschef im EJPD. Benjamin Steffen galt bei der NZZ als Edelfeder, jetzt arbeitet er für Gecko Communication. Nicole Meier war Chefredaktorin von Keystone-SDA, jetzt arbeitet sie für die Flughafenpolizei Zürich. Es sind vier von 96 ganz unterschiedlichen Ausstiegs-Geschichten, die die «Republik» zusammengetragen hat. Bereits zum vierten Mal hat das Magazin die Aussteigerinnen und Aussteiger aus der Medienbranche gezählt. Tendenz: ungebrochen. «Edito» hat mit Dennis Bühler über die Gründe für den Exodus gesprochen.

Edito: Weiterhin kehren zwei Journalisten pro Woche der Branche den Rücken. Was sind die wichtigsten Gründe?

Dennis Bühler: Es sind mindestens zwei pro Woche – wir können keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, weil  wir uns ja vor allem auf veröffentlichte Meldungen abstützen. Der Aderlass hat verschiedene Gründe: Die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich, vielerorts wird auf einen Teuerungsausgleich verzichtet, immer mehr Aufgaben müssen von immer weniger Leuten erledigt werden. Und dann hat die Branche ein Problem mit Wertschätzung.

Mangelt es an Wertschätzung untereinander?

Unter Journalist:innen erlebe ich den Umgang als sehr kollegial. Vielleicht ist er sogar kollegialer geworden in den letzten Jahren. Ich kenne wenig, die nicht bereit wären, ihr Know-how zu teilen oder miteinander zu reden, auch über Ressort- und sogar Redaktionsgrenzen hinweg. Das Konkurrenzdenken hat eher abgenommen. Ich glaube, es haben alle das Gefühl, im selben Boot zu sitzen. Ich sehe das Problem eher bei der Wertschätzung durch die Führung und durch das Publikum.

Hat der Journalismus also ein Führungsproblem, wie es Fabienne Kinzelmann sagt?

Ja, ich glaube, Fabienne Kinzelmann hat recht. Auch in der Analyse, dass in vielen Fällen immer noch jene Journalist:innen Chefs werden, die gut schreiben können und nicht die, die gut führen, ein Gemeinschaftsgefühl vermitteln und die Leute gut anleiten können. Ganz oben haben wir aber ein noch grösseres Problem: Die Verleger glauben nicht mehr an den Journalismus, weil er ihnen weniger Rendite bringt, als sie wünschen.

Was ist mit der Wertschätzung durch das Publikum?

Sie ist in den letzten Jahren gesunken. In der Pandemie sind die Stimmen lauter und sichtbarer geworden, die den Medien misstrauen. Auch nach der Publikation unseres Artikels haben wir Rückmeldungen von Menschen erhalten, die dem Journalismus den Tod wünschen und ihn als gekauft bezeichnen. Der Umgangston auf Social Media, namentlich auf X, ist feindselig geworden. Die konstruktiven Debatten finden heute auf LinkedIn statt.

Haben Journalist:innen ein Motivationsproblem?

Es ist schwierig, alle über einen Kamm zu scheren. Ganz grundsätzlich sicher nicht. Aber die Motivation sinkt natürlich, wenn man sich vom Unternehmen schlecht behandelt fühlt und nicht mehr jene gesellschaftliche Anerkennung kriegt, die man sich selbst attestiert. Das war schon spürbar bei den aus der Branche ausgestiegenen Journalist:innen, mit denen wir gesprochen haben. Auslöser der Motivationsprobleme sind aber nicht die Menschen, sondern die Probleme der Branche.

Aussteiger hat es schon immer gegeben, weil es wenig Aufstiegs- und Veränderungsmöglichkeiten in den Medien gibt.

Es stimmt schon: In einer Redaktion gibt es wenig Aufstiegsmöglichkeiten. Aber gerade die Grossverlage, die viele kleine Zeitungen geschluckt haben, könnten durchaus Weiterentwicklungsmöglichkeiten anbieten, etwa in der Mantelredaktion oder in anderen Ressorts. Ein grosses Problem in der Branche ist die Weiterbildung, die in aller Regel sehr stiefmütterlich behandelt wird: Es gibt kaum einen Verlag, der seine Mitarbeitenden wirklich weiterentwickelt.

Gibt es besonders neuralgische Punkte in den Biografien von Journalisten?

Ja, es gibt klassische Ausstiegspunkte. Der erste Punkt ist der Ausstieg aus dem Einstieg: Also der Entscheid gegen die Karriere im Berufsfeld nach einem Praktikum oder nach mehrjähriger freier Tätigkeit beispielsweise während des Studiums. Der nächste Knackpunkt kommt mit der Familiengründung. Im vorwiegend akademisch-urbanen Milieu ist das rund um den 35. Geburtstag. Da wird eine bessere Work-life-Balance wichtig, mehr Planbarkeit, mehr freie Wochenenden und ein besserer Lohn. Der dritte Punkt ist rund um den 50. Geburtstag. So sagten uns etwa die früheren SRF-Journalisten Erwin Schmid und Christoph Nufer, sie hätten sich gefragt, ob sie in dem Beruf alt werden können. Wir wissen, dass viele Mitarbeitende zwischen 57 und 60 unter Druck geraten und entlassen werden, weil sie vermeintlich zu teuer sind. Mit dieser Aussicht finden viele Journalist:innen, dass sie lieber schon mit 50 der Branche den Rücken kehren und selbstbestimmt ihre Zukunft gestalten.

Die Medienhäuser sind finanziell unter Druck – was könnten sie trotzdem tun, um gute Journalisten zu halten?

Vieles wäre schon getan mit Wertschätzung. Da geht es um Zwischenmenschliches, um Lob, Mitarbeiteranlässe und auch mal ein Dankeswort nach dem Geschäftsergebnis, statt nur Boni für die Manager. Natürlich wäre auch ab und zu eine finanzielle Geste wichtig, etwa ein Teuerungsausgleich. Es geht übrigens nicht nur darum, Mitarbeitende zu halten, sondern auch darum, gute Leute zu gewinnen und sie dazu zu bringen, in den Journalismus einzusteigen oder nach der Ausbildung im Journalismus zu bleiben. Ansonsten findet die Branche nicht aus der Negativspirale heraus.


Quelle: Albrecht, Philipp und Bühler, Dennis (2024): Der Journalismus stirbt im Kleinen – und mit ihm die Demokratie. In: Republik: Zürich.,22.4.2024.

1 Kommentar

#1

Von Martin Oswald
25.04.2024
Absolut treffend, die Analyse von Dennis. Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden ist enorm wichtig. Was uns als Branche mitunter fehlt sind Erfolge, die gefeiert werden können. Wir befinden uns in einer schrumpfenden Branche, rückläufige Erträge im Werbe- und Lesermarkt zwingend uns laufend zu Kostenoptimierungen - was in vielen Verlagen zu Entlassungen führt. Uns als Medienhaus und allen Mitarbeiteden würde ich wünschen, wir könnten ab und an ein Fest feiern, weil wir einen besonders guten Monat hatten, oder tatsächlich dank gutem Journalismus oder neuen digitalen Produkten mehr zahlende Leserinnen und Leser gewinnen. Ich habe in 20 Jahren Journalimus keinen einzigen solchen Moment erlebt. Die Herausforderung ist es darum, trotz schlechten Zahlen, die kleinen Erfolge und Leistungen zu sehen, anzuerkennen und zu feiern.

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