Calum MacKenzie auf dem Roten Platz in Moskau: Kurz nach der Publikation des Interviews in «Edito» hat es plötzlich geklappt mit der Einreise nach Russland.

Mediennews

27.05.2024

«Ich finde es sehr wichtig, mit den Menschen in Russland im Gespräch zu bleiben.»

Als Russland-Korrespondent von Radio SRF sollte Calum MacKenzie eigentlich seit Anfang letzten Jahres aus Moskau berichten. Doch bis Ende Jahr hat Russland dem Berner Journalisten die Einreise verweigert. «Edito» hat deshalb mit Calum MacKenzie gesprochen, wie es ist, als Korrespondent über ein Land zu berichten, das er nicht bereisen darf. Das Interview war kaum erschienen, als sich Calum bei uns meldete: Er habe überraschend doch noch eine Einreisebewilligung erhalten. Unser Bild zeigt ihn deshalb nicht an seinem Schreibtisch in Tiflis, sondern auf dem Roten Platz in Moskau.

Du berichtest seit Januar 2023 als Russland-Korrespondent für Radio SRF über Russland – wie oft warst du seither im Land?

Nicht ein einziges Mal. Ich war in der geografischen Nähe, in Kasachstan war ich etwa 40 Kilometer von der Grenze zu Russland entfernt und in Georgien war ich an der südossetischen Grenze. Aber ich darf nicht nach Russland einreisen.

Warum?

Als Journalist brauche ich eine Akkreditierung, die Hand in Hand geht mit dem Visum. Obwohl wir den entsprechenden Antrag schon vor über einem Jahr gestellt haben, ist seither nichts passiert. Wir wissen nicht, was dahintersteht. Seit Februar 2022 haben nur noch sehr wenige westliche Medienschaffende eine Akkreditierung erhalten. Jetzt höre ich, dass hie und da ein Antrag bewilligt wird. Bei mir hat sich aber bisher nichts getan. Es arbeiten noch westliche Medienschaffende in Russland, aber das sind Journalisten, die schon vor dem Krieg akkreditiert waren.

Du bist also eine Art Korrespondent ohne Land – geht das, von aussen über ein Land zu berichten?

Ich bin nicht ganz ohne Land, ich berichte ja noch über andere Länder. Aber man muss innovativ sein und es ist nicht alles möglich. Ich kann in Russland nichts mit eigenen Augen anschauen und ich kann nicht auf der Strasse mit Betroffenen sprechen. Ich habe in Moskau studiert und kenne in Moskau und in anderen Teilen von Russland viele Menschen, die mir immer wieder dabei helfen, mit Beteiligten und Betroffenen in Kontakt zu kommen.

Du hast deinen Sitz jetzt in Tiflis – wäre es nicht einfacher, von Bern aus über Russland zu berichten?

Was Russland betrifft, ist Georgien kein schlechter Ort, um ein besseres Bild zu erhalten, weil hier viele Russen aus ganz unterschiedlichen Regionen und Schichten leben. Diese Menschen sind teils aus politischen, teils aus wirtschaftlichen Gründen ausgewandert. Und dann ist Georgien eine beliebte Feriendestination für russische Touristen. Zudem gehören neben Russland auch Georgien, Armenien, Kasachstan und andere ehemalige Sowjetrepubliken zu meinem Berichtsgebiet. Auch in diesen Ländern hat der Angriffskrieg mit der Ukraine viel verändert, und es ist wichtig, darüber zu berichten.

Es arbeiten immer weniger ausländische Medienschaffende in Russland. Wird Russland zum abgeschotteten Staat à la Nordkorea?

So richtig vergleichbar ist es nicht. Nordkorea ist umfassend sanktioniert und entsprechend abgeschottet. Russland hat im Gegensatz dazu gute Beziehungen mit vielen anderen Ländern. Von der Schweiz aus gesehen ist es aber schon so: Wir hören nur noch sehr wenig aus dem Land selbst. Es haben immer weniger Menschen aus dem Westen direkte Beziehungen zu Russland.

Welche Konsequenzen hat das für unser Verhältnis zu Russlands Kultur?

Es schwindet vor allem das Verständnis für die russische Gesellschaft, für den Alltag und die grosse Vielfalt und Diversität des Landes. Viele im Westen sehen Russland, wie zur Zeit der Sowjetunion, wieder monolithisch als Block.

Glaubst du, dass du Russland je bereisen kannst?

Ich hoffe sehr, dass es möglich sein wird, aber ich habe keine Ahnung, wie gross die Chance ist. Wenn sich die Möglichkeit ergibt, dann reise ich sofort nach Russland: Ich finde es sehr wichtig, mit den Menschen in Russland im Gespräch zu bleiben.

Nachtrag

Kurz nach Publikation des Interviews meldete sich Calum MacKenzie bei «Edito»: Er habe überraschend und kurzfristig ein Einreisevisum erhalten und könne in Moskau seine Akkreditierung vor Ort beantragen. Tatsächlich schickte er kurz danach ein Bild vom Roten Platz in Moskau. Seither hat er mehrmals aus der russischen Hauptstadt berichtet. Er sei vorerst nur mit kleiner Ausrüstung nach Moskau gereist und habe sich mit dem üblichen Interviewmikrofon im Hotelzimmer aufgenommen. Das Zimmer sei «zum Glück gut gepolstert». Mittlerweile ist er zurück in Tiflis, wird aber bald wieder nach Moskau reisen.

Die Situation in Russland

Für Medienschaffende ist es nicht nur schwieriger geworden, nach Russland zu reisen, auch die Arbeit im Land selbst ist gefährlicher geworden. Im März 2023 ist der US-amerikanische Reporter Evan Gershkovich, der für das «Wall Street Journal» arbeitet, in Moskau festgenommen werden. Der Vorwurf: Spionage. Seither hat sich die Lage für westliche Journalisten weiter zugespitzt. Die Auslandskorrespondenten der «New York Times» und der «Washington Post», aber auch unabhängige Journalisten berichten mittlerweile aus Berlin über Russland. Gefährlich ist die Situation in Russland vor allem für einheimische Journalisten. Seit Kriegsausbruch hat der Kreml laut Reporter ohne Grenzen mehr als einhundert Journalisten zu «ausländischen Agenten» erklärt, kritische Medien geschlossen und die Zensur verschärft. Immer wieder werden Medienschaffende ermordet.

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