«Brief an …» – 15.07.2021

Sehr geehrte Tamedia

Herzliche Gratulation den 42 Journalistinnen und Journalisten, die Sie unlängst mit einem Preis ausgezeichnet haben. Sie erhielten, haben wir erfahren, einen eher symbolischen und relativ kostengünstigen Preis: einen Gutschein eines Essens-Lieferdienstes.

In früheren Jahren – der Preis existiert seit 2018 – gab es zudem jeweils an den Standorten der Gewinnerinnen und Gewinner einen Apero. Diese Aperos fallen nun coronabedingt aus. Das spart ­Kosten. Und ist vielleicht gar nicht so schlimm. Denn möglicherweise wäre ­es etwa in Winterthur, wo einer der Ausgezeichneten arbeitet, sowieso kein fröhliches Fest geworden. Schliesslich bilden ja seit Anfang Juni Landbote, Zürichsee-Zeitung, Zürcher Unterländer und Tages-Anzeiger neu das «Redaktionsnetzwerk Zürcher Zeitungsverbund». Oder, wie Sie es in Ihrer Medienmitteilung formulierten: «Die Zürcher Tamedia-Zeitungen ­rücken organisatorisch näher zusammen.» ­

Zusammenrücken, das wissen Ihre Mit­arbeitenden nur zu gut, kann kurz- ­oder mittelfristig eine so starke Enge ­hervorrufen, dass dann für den einen oder die andere kein Platz mehr ist.

«Zusammenrücken» heisst es auch in Bern, wo einige der Ausgezeichneten ­arbeiten. Auch sie hätten wohl nicht unbedingt Lust auf einen freudigen Apero gehabt angesichts der Zusammenlegung von Bund und Berner Zeitung, von ­Stellenabbau und Entlassungen. Es kann auch sein, dass sich die verbleibenden Mitglieder der künftigen «schlagkräftigen Redaktion», die Sie bei der Bekanntgabe der Fusion ankündigten, eher ange­schlagen fühlen.

Ihr Preis, sehr geehrte Tamedia, heisst Abo-Award. Er könnte, so finden wir, auch Tamedia-Preis heissen. Denn er passt hervorragend zu Ihrem Unternehmen: Ausgezeichnet werden nämlich in der Kategorie «Conversion Stars» die­jenigen Artikel, die zu den meisten neuen Abo-Registrierungen führten, und in der ­Kategorie «Subscriber Stars» diejenigen, die die höchste Nutzungsdauer erreicht haben. Das ergibt eine interessante ­Mischung von aufwendig recherchierten Stücken, Corona-Informationen, bis hin zu Tipps zur Wespenbekämpfung, einer Besprechung eines Buchs über miss­lungene Dates («Single, weil die Auswahl scheisse ist») und einer Restaurantkritik («Schlemmen unter digitalen Nomaden»).

Es sind also nicht ausschliesslich die relevantesten, wohl aber jene Artikel, die den besten Nutzen brachten. Noch sind sie dabei weit entfernt von der tollen Kosten-­Nutzen-Bilanz des von Ihnen angebotenen Native Advertising, wo gratis Content eingebracht und dafür auch noch bezahlt wird. Aber Sie werden sicherlich, sehr geehrte Tamedia, weiterhin auf eine weitere Verbesserung der Kosten-Nutzen-Bilanz des Journalismus hinarbeiten.

Befürchtet, beunruhigt grüssend

EDITO

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