Mediennews

27.05.2024

Susan Boos: «Es bräuchte einheitliche, klare, strenge Regeln»

Die grossen Internetfirmen, insbesondere Google, Facebook und Amazon, machen heute mehr Werbeumsatz als alle gedruckten Medien in der Schweiz zusammen. «Dieser Rückgang bedroht den Print in seiner Existenz», erklärt Susan Boos, die Präsidentin des Schweizer Presserats, im grossen «Edito»-Interview.

Interview: Matthias Zehnder, Foto: Eric Bührer

Der Presserat rügt immer wieder Zeitungen wegen ungenügender Trennung von redaktionellem Teil und Werbung. Haben die Probleme zugenommen?

Das schon, aber die Zahlen sind immer mit Vorsicht zu geniessen. Der Presserat wird ja nicht von sich aus aktiv. Die Zahlen widerspiegeln, welche Beschwerden eingehen. Ich glaube aber schon, dass die Sensibilität zugenommen hat.

Was ist denn die Schwierigkeit?

Die klassischen Medien haben viel Werbung verloren. Die Werbekunden möchten möglichst nah am redaktionellen Teil sein und ihre Werbung möglichst so gestalten, dass sie wie ein redaktioneller Inhalt aussieht. Eigentlich ist der Presserat nur bedingt der richtige Ort für Beschwerden  über eine mangelnde Abgrenzung von Redaktion und Werbung. Der Presserat beschäftigt sich ja vor allem mit der Arbeit der Journalistinnen und Journalisten. Die Adressaten dieses Problems sind aber eigentlich die Verlagshäuser. Sie verantworten Akquise und Gestaltung der Werbung. Die Redaktionen können ja nichts dafür, wenn ihnen eine verwechselbare Anzeige untergeschoben wird. Die Chinesische Mauer zwischen Redaktion und Verlag muss undurchlässig sein. Der Verlag darf der Redaktion nie reinreden. Umgekehrt haben die Redaktionen kaum die Macht, den Verlagen etwas vorzuschreiben.

Schon in den 90er-Jahren gab es Publireportagen. Was hat sich seither geändert?

Der Druck ist gigantisch gross geworden. Die Verlage erwirtschaften verglichen mit den 90er-Jahren nur noch einen Bruchteil der Werbegelder. Die globalen Internetfirmen, insbesondere Google, Facebook und Amazon, holen mehr Werbegelder ab als der gesamte Pressewerbemarkt in der Schweiz. Dieser Rückgang bedroht den Print in seiner Existenz.

Online sind die Grenzen fliessender – ist das ein Problem? Hat das Einfluss auf den Print?

Ich glaube, wir haben ein grundsätzliches Problem. Wir sagen ja: Werbung muss klar beschriftet sein, wenn sie nicht durch das Layout klar als solche erkennbar ist. Die Lauterkeitskommission ist strenger: Sie sagt, Werbung müsse angeschrieben sein und sich optisch unterscheiden. Online hat man das Problem noch viel stärker, da ist die Ähnlichkeit zwischen redaktionellem Inhalt und Werbung oft sehr gross. Aber im Print ist der Gestus natürlich auch da. Werbekunden möchten dem redaktionellen Inhalt so nah wie möglich kommen. Was ich ja verstehe: Solang man keine klare Regelung hat, an die sich alle halten müssen, ist es logisch, dass die Werbekunden so weit gehen wie möglich und sich möglichst ähnlich präsentieren. Wichtig wäre es deshalb, dass alle gleich lange Spiesse haben.

Was ist der Unterschied zwischen «Paid Content» und Werbung?

Das Kleid. «Paid Content» heisst: Die Werbung tarnt sich als Journalismus, dabei ist es einfach Werbung. Die Werbung will so von der Glaubwürdigkeit des Journalismus profitieren. Der Effekt ist, dass genau das Gegenteil passiert: Die Glaubwürdigkeit des Journalismus wird vernichtet.

Studien zeigen, dass viele Nutzerinnen und Nutzer auch klassische Werbung kaum von redaktionellem Inhalt unterscheiden können. Spielt das überhaupt eine Rolle? Ist eine Zeitung (oder eine Website) nicht einfach ein Gesamtinformationspaket?

Wenn der Nutzer nicht in der Lage ist, Werbung und Journalismus zu unterscheiden, dann haben wir grundsätzlich ein Problem. Deshalb pochen wir ja drauf, dass diese Unterscheidbarkeit gut sichtbar gemacht wird. Wenn über der Werbung etwas steht wie «Paid Content» oder «in Zusammenarbeit mit», dann sind auch Menschen mit hoher Medienkompetenz nicht in der Lage, das als bezahlte Werbung zu erkennen.

Bei den Bezeichnungen herrscht ohnehin Wirrwarr. Würde eine einheitliche Bezeichnung helfen?

Es müssten klare Worte verwendet werden, etwa «bezahlte Werbung», keine verschleiernden Begriffe. Zusätzlich sollte sich das Layout klar unterscheiden. Ich plädiere stark für eine Differenzierung in Wort und Grafik.

Im Print mag das gehen, auf dem Handy wird das schwierig.

Wenn man es will und es sein muss, dann geht es schon.

Ist Werbung böse?

Diese Frage liebe ich. Werbung ist überhaupt nicht böse, Werbung kann sehr kreativ sein und toll. Die Grenzen setzt die Lauterkeitskommission in der Werbung. Die «WoZ» hat ja auch immer Werbung für sich selbst gemacht, damit die Leute sehen, dass es die «WoZ» gibt.

Wann ist Werbung unlauter?

Unlauter in diesem Zusammenhang wäre Werbung, die die Glaubwürdigkeit des Journalismus kapert. Als der «Guardian» begann, mit neuen Werbeformen zu experimentieren, hat ein Medienwissenschaftler gesagt: «Don’t eat your seeds». Darum geht es: Wenn wir Werbung und Redaktion verwechselbar machen, verspielen wir unser Saatgut. Es ist ein bisschen wie bei Inhalten der Künstlichen Intelligenz: Wenn man nicht weiss, ob ein Textroboter oder ein Mensch einen Beitrag geschrieben hat, ist es irgendwas – aber sicher nicht guter, echter Journalismus. Dafür wird nie jemand bezahlen.

Wäre Sponsoring besser?

Es kommt auf die Nähe zum Inhalt an. Wichtig ist, dass klar ist, dass die Journalisten wirklich unabhängig sind. Allein schon der Verdacht, dass sie im Sinn und Geist eines Sponsors schreiben, reicht, um ihre Glaubwürdigkeit zu pulverisieren.

Seit 2018 ist der Werbeumsatz bei Printmedien in der Schweiz von rund einer Milliarde Franken auf 735 Millionen Franken zurückgegangen. Das entspricht einem Rückgang von 27 Prozent. Kann man es den Verlagen verargen, wenn sie mit allen Mitteln Umsatz suchen?

Überhaupt nicht. Ich finde nur, dass für alle die gleichen Spielregeln gelten müssen. Werbeauftraggeber machen einfach das, was möglich ist. Es ist nachvollziehbar, dass die Verlage ihrerseits an die Grenze gehen. Das Problem ist im Moment, dass es der Moral des einzelnen Verlags überlassen ist und die Lauterkeitskommission strenger ist als der Presserat. Es bräuchte einheitliche, klare, strenge Regeln, die für alle gelten.

Welchen Einfluss hat Werbung generell auf die Glaubwürdigkeit?

Wenn Werbung als solche erkennbar ist, dann ist das kein Problem. Es ist die unlautere Werbung, die den Medien schadet. Lautere Werbung schadet nicht.

Wie geht die «WoZ» mit Werbung und Paid Content um?

Paid Content war bei uns nie ein Thema. Werbung wurde manchmal diskutiert, zum Beispiel bei Autowerbung. Der Redaktion ist es aber bewusst, dass ein Teil des Budgets über Werbung erzielt wird. Wir sind der Meinung, dass das auch unseren Leserinnen und Lesern bewusst ist und dass sie wissen, was Werbung ist. Wenn zielgerichtete, personalisierte Werbung im Internet verboten würde, könnten wir Medien als Werbeträger wieder interessanter werden, weil Medien in der Regel ein ganz spezifisches Publikum haben.

Der Presserat ist überlastet und hat finanzielle Probleme. Kann er Beschwerden überhaupt innert nützlicher Frist behandeln? Ist daran überhaupt jemand interessiert?

Wir arbeiten relativ schnell und effizient. Es dauert einfach, bis wir einen Entscheid fällen können, weil wir ja auch die Gegenseite anhören müssen. Die Seriosität braucht ihre Zeit. Das ist aber auch richtig. Unser Job ist ja, nicht nur zu rügen, sondern den medienethischen Diskurs zu pflegen. Deshalb sind die Entscheide, die wir fällen, so wichtig. Wir helfen so, Grundsatzfragen zu klären. Es geht nicht darum, einzelne Journalisten an den Pranger zu stellen, sondern Haltungen für die ganze Branche zu entwickeln. Manchmal helfen schon die Diskussionen über die Probleme, die hinter den Beschwerden stecken.

Das hab ich zwar so gesagt, es stimmt aber nur halb – weil Ziffer 10 der  uns dazu verpflichtet, uns mit der Problematik zu beschäftigen. Mein Ziel ist es ja, Ziffer 10 zu verschärfen. Ich will auch auf keinen Fall die bisherige Arbeit des Presserats desavouiren.

Susan Boos arbeitet seit vielen Jahren für die «WoZ» und ist Präsidentin des Schweizer Presserates, der Selbstregulierungsinstanz für medienethische Fragen.

Susan Boos arbeitet seit vielen Jahren für die «WoZ» und ist Präsidentin des Schweizer Presserates, der Selbstregulierungsinstanz für medienethische Fragen.

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