Bei Tamedia war Timo Grossenbacher für die Automatisierung mit KI zuständig. Er sagt, die KI kann den Menschen effizienter machen, aber keinesfalls ersetzen.
Edito: KI im Journalismus – bringt das Texte und Artikel, die wie von Zauberhand entstehen?
Timo Grossenbacher: Technisch gesehen ist es kein Problem, Text zu produzieren. Das Problem ist, dass die KI sehr unzuverlässig ist, weil sie dazu neigt, zu halluzinieren, also Inhalte zu erfinden. Ein Sprachmodell ist nur ein statistisches Modell. Es ist nicht dafür gemacht, Artikel zu schreiben oder Anweisungen wortwörtlich und zuverlässig zu befolgen. KI lässt sich im Journalismus einsetzen, aber nur begrenzt. Wichtig ist, die Wahrscheinlichkeit von Fehlern in den Texten so gering wie möglich zu halten, indem man möglichst klare Vorgaben macht. Zum Beispiel: Fasse diese Polizeimeldung in zwei Sätzen zusammen. Da ist der Kontext klar beschränkt. Was nicht funktioniert: zwei, drei Bulletpoints zu einem Unfall vorzugeben und dem System zu sagen, es soll daraus einen Artikel kreieren.
Die KI braucht also einen klar begrenzten Kontext. Was noch?
Kurze Inhalte verringern die Wahrscheinlichkeit, dass die KI halluziniert. Zudem ist es einfacher, kurze Inhaltsblöcke zu kontrollieren. Wenn ich einen riesigen Kontext habe und riesige Input-Texte und das Ergebnis ist ein sehr langer Text, dann ist die Aufgabe extrem komplex. Aber die KI kann mir zum Beispiel sehr gut sagen, welche Personen in einem Text vorkommen. Verarbeiten, zusammenfassen, auswerten, das kann die KI. Kreation funktioniert gemäss meiner Erfahrung eher schlecht.
Bei Tamedia hast du ein Projekt geleitet, bei dem es darum ging, dass die KI Vorschläge für Titel und Unterzeilen generierte. Wie hat das funktioniert?
Das Modell orientiert sich an klaren Vorgaben und ist in der Lage, aus einem sehr begrenzten Input einen Vorschlag zu machen. Die Idee ist nicht, dass die KI geniale Titel generiert. Sie soll Vorschläge machen, mit denen der Mensch weiterarbeiten kann. Die KI soll inspirieren. Dabei kann es auch zu Halluzinationen kommen. Oder es geht ein wichtiger Aspekt im Lead verloren. Ein Mensch sieht das «Beef» in einem Text vielleicht an einer anderen Stelle als die Maschine. KI kann den Menschen nicht ersetzen. Aber sie kann den Menschen effizienter machen, indem sie ihn unterstützt. Sie ist selbst nicht intelligent, sie sieht nur so aus.
Was ist mit dem «Prompt Engineering»?
Viele Leute denken: Wenn ich den richtigen Prompt eingebe, sind die Probleme gelöst. Natürlich muss ich an den Prompts arbeiten. Aber mindestens genauso wichtig sind die Daten, mit denen die KI arbeitet, und die Schulung der Menschen, die die KI bedienen. Und es kommt darauf an, wie die KI technisch in die Arbeitsumgebung integriert ist. Ist das Tool in das CMS integriert oder ist es eine separate Anwendung? Einen Prompt kann jeder mal schnell ausprobieren. Aber dies in den redaktionellen Workflow zu integrieren, ist keine Frage von ein, zwei Wochen, sondern ein langfristiger Prozess. Dann stellt sich auch die Frage, ob sich das wirklich lohnt. Das ist heute noch bei den wenigsten KI-Anwendungen der Fall.
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Was ist mit KI in der Bildbearbeitung und in der Textkorrektur?
Für die Bildbearbeitung bringt die KI Quantensprünge. Aber im Journalismus dürfen wir Bilder nicht manipulieren, entsprechend klein ist das Betätigungsfeld. Bei der Textkorrektur sind die Resultate noch durchzogen. Einen langen Text zu korrigieren, ist auch für die KI nicht trivial. In Englisch funktioniert es vielleicht, in Deutschland einigermassen, bei uns in der Schweiz mit unseren Helvetismen stösst die KI an Grenzen, weil sie eben mit relativ wenigen in der Schweiz geschriebenen Texten trainiert wurde. Tippfehler beseitigen geht vielleicht, die semantische Korrektur braucht uns Menschen noch lange.
Timo Grossenbacher (1987) ist selbstständiger Berater an der Schnittstelle von Technologie und Journalismus. Vorher hat er als Head of Newsroom Automation bei Tamedia und als Datenjournalist bei SRF gearbeitet. Grossenbacher hat an der Universität Zürich Geographie und Informatik studiert und eine Weiterbildung (DAS) in Data Science absolviert.