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Aktuell – 19.12.2022

Charta für eine grüne Redaktion

Um gegen die Klimaerwärmung anzukämpfen, sind Medienschaffende aufgefordert, sich klimaneutral zu verhalten. Eine Charta soll helfen.

Von Alain Meyer

Glaubwürdigkeit verpflichtet: Der Journalismus soll Rechenschaft darüber ablegen, was er zur Verlangsamung der Klimaerwärmung beiträgt. Gewohnheiten – wie etwa Events mithilfe des Autos oder des Flugzeugs abzudecken – müssen überdacht und kritisch hinterfragt werden.

In Frankreich hat Reporterre, ein unabhängiges Onlinemedium, das Artikel zum Thema Ökologie veröffentlicht, soeben eine Charta der «bewährten Praktiken» herausgegeben. Etwa zwanzig Pressetitel wollen «einen Journalismus fördern, welcher der ökologischen Dringlichkeit Rechnung trägt».

Dreizehn Richtlinien enthält die Charta, unter anderem, wie «Journalismus mit niedrigem CO2-Abdruck» aussehen könnte. Konkret heisst dies, dass weniger umweltbelastende Arbeitstools verwendet werden sollen; Redaktionen ihrerseits sollen dazu bewogen werden, lokale Journalistinnen und Journalisten zu engagieren, um unnötige Geschäftsreisen zu reduzieren.

Unmögliches kann nicht erwartet werden. Und wie sieht es in der Schweiz aus? Die Medienlandschaft nimmt die Herausforderung an. Boris Busslinger, Journalist bei der Tageszeitung Le Temps, musste kürzlich allerdings klein beigeben: Um an die internationale Klimakonferenz in Scharm El-Scheich (Ägypten) zu reisen, kam er nicht ums Fliegen herum. «Egal, wie stark der gute Wille ist, das Ideal beisst sich mit Überlegungen, die praktisch unüberwindbar sind», fasste er in einem Artikel* zusammen. Er ging sogar so weit und warf die Frage auf, ob es überhaupt noch nötig sei, Treffen von solchen Organisationen abzudecken? «Darauf zu verzichten, wäre aber auch nicht vertretbar, da die Chancen für ein Scheitern des Gipfels ohne Druck der Medien gestiegen wären», argumentierte er.

So lautet die Frage: Unternehmen Schweizer Medien im aktuellen Kontext genug? «Die Klimafrage geht alle Ressorts etwas an», ist Florent Hiard, Mitglied des Vereins «Netzwerk Klimajournalismus Schweiz» und Journalist bei der Regionalzeitung La Côte in Nyon (VD) überzeugt. Doch auch er macht sich keine Illusionen. «Sitzend am Schreibtisch Journalismus zu machen, ist schwierig», bemerkt er und verweist darauf, dass das Auto für seine Zeitung unumgänglich sei, da die Gemeinden nicht alle gut an den öffentlichen Verkehr angebunden seien.

Ähnlich sieht es im Jura aus, auch dort ist das Auto ein Muss. «Wir achten aber darauf, dass wir Fahrzeuge der Energiekategorie A (weniger als 95 g CO2/km) oder B (von 101 bis 120 g) verwenden», sagt Jérôme Steulet, Co-Direktor der BNJ-Mediengruppe (Radio RTN, RJB und RFJ). Für die fünf Elektroautos, die sein Unternehmen besitzt, wurden in der Nähe der Studios Ladestationen eingerichtet. Damit ist das Problem aber nicht gelöst: «Wenn Sportjournalisten an einen Hockeymatch ins Tessin reisen müssen, dann ist es schwierig, die Hin- und Rückfahrt ohne zusätzliches Laden zu machen», meint Steulet.

Die Idee einer Öko-Charta für Redaktionen wird auch in der Schweiz konkreter.

Nachtzug-Netz erweitern. «Die Reduktion des CO2-Abdrucks ist vielmehr eine Frage des Redaktionsbudgets als der Bereitschaft», teilen Mitglieder des Schweizer Klubs für Wissenschaftsjournalismus (SKWJ) auf Anfrage von EDITO mit. Selbst wenn immer mehr auf lange Geschäftsreisen verzichtet wird, bleibt das Flugzeug die günstigste Option, um Europas Hauptstädte anzusteuern.

«Eine Erweiterung des Nachtzug-Netzes würde das ändern», meint der SKWJ. Sarah Sermondadaz, Wissenschafts- und Klimajournalistin bei Heidi Media in Genf, hat noch andere Ideen: weniger datenintensive Internetseiten, mehr Homeoffice und strengere Reisebudgets. «Man muss aber auch ganz klar sagen, dass redaktionelle Interessen Priorität haben sollen», präzisiert sie.

Die Idee, eine Charta herauszugeben, damit Redaktionen ihre Verantwortlichkeiten noch bewusster wahrnehmen, wird immer konkreter. Wenn es der Verein «Netzwerk Klimajournalismus Schweiz» nicht tut, dann liegt es auf der Hand, dass dies die Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten anpacken werden.

* Le Temps vom 3. November 2022

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