Erfolgreiche Forschung erfordert den Mut zur Selbstkritik. Unter einem Präsidenten, der die Unantastbarkeit eigener Gewissheiten kultiviert, kann sie nur verlieren. So sind die USA auf dem Weg, ihre Spitzenposition in den Wissenschaften zu verlieren.
Susanna Petrin, Washington DC
Ich habe immer recht und sage euch jetzt, was in den USA mit der Wissenschaft los ist! So würde ich mit etwas mehr Trump im Blut klingen. Einiges näher an der Wahrheit ist: Ich habe mir nach der Lektüre von etwa zwei Dutzend Artikeln, diversen Webseiten und einigen Gesprächen eine Übersicht über den Stand der Wissenschaft in den USA für diesen Text angeeignet. Ich befinde mich damit auf meinem neusten Stand des Irrtums. Vielleicht werden neue Erkenntnisse meinen Befund später falsifizieren.
Ich beziehe mich damit auf den Philosophen Karl Popper, einen der Väter der modernen Wissenschaftstheorie. Mein eigener Vater, ein Chemiker, hat Popper einmal an einem Vortrag in Basel erlebt. Von ihm tief beeindruckt, hat mein Vater mir immer wieder von Poppers Theorie der Falsifizierbarkeit erzählt. Popper sagt: Eine Hypothese ist nur so lange gültig, bis sie widerlegt werden kann. «Alle Schwäne sind weiss» – das gilt also nur, solange kein schwarzer Schwan gesichtet wird. Seriöse Wissenschaft setzt Zweifel voraus, die Möglichkeit des Irrtums und Offenheit für Kritik. Nur diese Haltung ermöglicht Fortschritt.
Man kann sich kaum einen Menschen vorstellen, der weniger von Zweifeln geschüttelt wird als Donald Trump. Seine Selbstgewissheit kenne keine Grenzen – das macht es der Wissenschaft schwer und dem Präsidenten leicht. Wahr ist, was Trump wahrhaben will. Wahr ist, was ihm und seiner Klientel nützt – darunter etwa der Erdölindustrie. Wahr ist, was er gerade behauptet. Klimawandel? «Quatsch, das ist nur Wetter», sagt er. Kritische Berichte unabhängiger Medien? «Alles fake news!» Rassismus? «Dieses Problem gibt es in den USA nicht.» Ideologie first! Trump negiert naturwissenschaftliche sowie geistes- und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse – insbesondere dort, wo sie dem eigenen politischen Narrativ widersprechen.
Donald Trump ist Karl Poppers Antipode. Ihn an der Spitze des bisher wichtigsten Forschungslandes der Welt zu haben, hat fatale Folgen für die USA und die ganze Welt. Das ist kaum verwunderlich. Was nun geschieht, übertrifft sogar die Befürchtungen seiner ärgsten Kritiker: Die Trump-Administration kürzt bei den Wissenschaften nicht mit dem Hammer, sondern mit Kettensäge und Flammenwerfer zugleich. Im Budgetantrag für 2026 sind bis zu 50-prozentige Kürzungen bei den grössten Wissenschaftsinstitutionen der USA vorgesehen. Insgesamt sollen mehrere Dutzend Milliarden Dollar sowie Zehntausende von Stellen gestrichen werden. «Die Kürzungen in der Forschung gefährden die zukünftige Gesundheit, Sicherheit und den Wohlstand unseres Landes», warnt Sudip Parikh, Geschäftsführer der American Association for the Advancement of Science, eine der grössten Wissenschaftsgesellschaften weltweit. Die USA drohten ihre Spitzenposition als Forschungsstandort zu verlieren.
Der Abbau hat schon längst begonnen: Wissenschaftler berichten von entzogenen Geldern, abgebrochenen Projekten, Förderunsicherheit und sogar Zensur. Ausländische Experten und Studenten werden immer öfter nicht mehr ins Land gelassen, der internationale Austausch wird gebremst, der Fachkräfte-Nachwuchs schaut sich zwangsläufig in anderen Ländern um. Auf Veranlassung Trumps sind besonders jene Studien betroffen, die sich mit dem Klimawandel und anderen Umweltgefahren befassen sowie sämtliche Projekte, die mit Diversität, Chancengleichheit oder Inklusion (DEI) in Verbindung gebracht werden.
Die Methoden erinnern immer stärker an autoritäre Staaten. Es kursiert eine schwarze Liste von Wörtern, die nicht mehr verwendet werden sollen, sonst droht Streichung oder Ablehnung. Zu den verpönten Wörtern gehören: saubere Energie, Klimakrise, Klima-Wissenschaften, aber auch alles mit Rasse, Gender oder Trans. Die längliche Liste endet mit diesem vielleicht besonders verdächtigen Wort: Frau.
Doch es regt sich Widerstand: Protestbriefe, Klagen, Demonstrationen. Die NGO «Stand Up For Science» brachte im Frühjahr Tausende für Proteste auf die Strasse. Karl Popper wusste: Nur eine Gesellschaft, die offene Debatten und Zweifel zulässt, kann frei bleiben. Eine wissenschaftsfeindliche Politik unterhöhlt dagegen zugleich das Fundament von Demokratie, Humanismus und Aufklärung.
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