Die Künstliche Intelligenz tangiert seit langem viele Bereiche des Lebens in der Schweiz. KI-Anwendungen seien «demokratierelevant, weil sie die Meinungsbildung und die Grundrechte betreffen», sagt Angela Müller von AlgorithmWatch gegenüber «Edito». Umso erstaunlicher ist es, dass der Bundesrat sich mit der Regulierung der KI sehr viel Zeit nimmt. «Ich glaube, wir können nicht einfach abwarten. Die Herausforderungen, die die Technologie für die Gesellschaft und die Demokratie mit sich bringt, sind zu gross», sagt Angela Müller. Es störe sie dabei, dass Regulierung und Innovation immer als Gegensatz gesehen werde: «Eine gute Regulierung ermöglicht genauso gute, gemeinwohlorientierte Innovation, sorgt aber dafür, dass Innovation den Interessen der Bevölkerung nicht zuwiderläuft.»
Der Bundesrat will Künstliche Intelligenz regulieren. Was ist geplant?
Vieles ist noch nicht bekannt. Der Bundesrat hat schon vor einiger Zeit gesagt, dass er an einer Auslegeordnung arbeitet. Er wollte abwarten, wie sich andere Länder verhalten, beobachten, analysieren. Diese Auslegeordnung liegt nun vor. Auf dieser Basis hat der Bundesrat nun einen Grundsatzentscheid getroffen, in welche Richtung er bei der KI-Regulierung gehen wird. Im Detail ist noch vieles unklar. Was wir bereits wissen: Immerhin will der Bundesrat wohl die KI-Konvention des Europarates unterzeichnen und ratifizieren. In diesem Zusammenhang wird es auch einige wichtige Anpassungen auf Gesetzesebene geben, etwa zur Stärkung von Transparenz, einer verpflichtenden Folgenabschätzung beim Einsatz von KI und womöglich auch zur Stärkung des Diskriminierungsschutzes.
Nach einem ambitionierten Vorgehen sieht es aber nicht aus. So spart der Bundesrat ganze Themenbereiche aus und sagt zum Beispiel nichts über Auswirkungen auf Meinungsbildung und Demokratie, über die Marktmacht von Technologieunternehmen oder die Nachhaltigkeit der KI-Lieferketten. KI fällt aber nicht vom Himmel: Wenn wir Rahmenbedingungen für KI setzen wollen, müssen wir uns auch damit auseinandersetzen, was in der Technologie steckt und wer dahinter steht. Sonst gehen wir den Technologiekonzernen auf den Leim.
Aus Sicht von Medienschaffenden besonders wichtig: Unternimmt der Bundesrat Schritte zum Schutz des Urheberrechts?
Er analysiert in der Auslegeordnung zwar kurz den Bedarf, noch ist die Stossrichtung jedoch schwierig abzuschätzen und es ist nicht erkennbar, dass der Bundesrat hier direkt Schritte einleiten wird. Vor Kurzem hat der Bundesrat jedoch eine Motion von FDP-Ständerätin Petra Gössi (SZ) angenommen, in der sie den urheberrechtlichen Schutz journalistischer Inhalte vor Anbietern künstlicher Intelligenz fordert. Er wird bis im Sommer eine entsprechende Botschaft vorlegen, dann sollten wir dazu mehr wissen.
Und wie will der Bundesrat hier und heute die Demokratie in der Schweiz schützen?
Das ist eine gute Frage und meines Erachtens ein wichtiger Aspekt. Der Bundesrat hat nur über die Regulierung der KI gesprochen. Diese Technologie existiert aber nicht im luftleeren Raum, sondern tangiert seit langem viele Bereiche unseres Lebens. Viele dieser Techniken sind demokratierelevant, weil sie die Meinungsbildung und die Grundrechte betreffen. Zu einer umfassenden Strategie im Umgang mit Algorithmen, KI und ihren Auswirkungen auf Mensch und Gesellschaft würde meiner Meinung nach auch gehören, sich den Einfluss von generativer KI oder Social Media Algorithmen auf die Meinungsbildung anzuschauen. Teilweise will das der Bundesrat in einem separaten Gesetzesentwurf machen, den er jedoch nach grosser Verzögerung noch immer nicht vorgelegt hat. Doch meiner Meinung nach lassen sich diese Themen nicht einfach trennen, denn ob KI oder Social Media: Es stecken immer die gleichen Unternehmen dahinter. Das ist eine enorme Machtkonzentration. Sie haben deshalb riesige Meinungsmacht und entsprechend Einfluss auf unsere Demokratie. Was konkret geplant ist, um die Demokratie zu schützen, wird aus der Kommunikation zur KI-Auslegeordnung nicht ersichtlich.
Gesetzesvorschläge sind erst für Ende 2026 geplant. Ist das nicht viel zu spät?
Ich finde auch, dass der Zeitplan zu wenig ambitioniert ist. Ich verstehe, dass demokratische Prozesse Zeit brauchen – und das tun sie oft aus guten Gründen, weil es auch um demokratische Legitimität geht. Aber 2026 würde ja erst die Vernehmlassung eröffnet. Ich glaube, wir können nicht einfach abwarten. Die Herausforderungen, die die Technologie für die Gesellschaft und die Demokratie mit sich bringt, sind zu gross.
Bundesrat Albert Rösti sagte im Interview mit «Edito» Ende 2024: «Ich glaube, wir sollten die Chancen der KI nutzen, bevor man zu stark reguliert. Schliesslich ist die Schweiz auch ein Innovationsstandort.» Hat er sich also durchgesetzt?
Ob er sich durchgesetzt hat oder nicht, das weiss ich nicht. Mir sind aber zwei Punkte wichtig: Das Potenzial der Technologie nutzen wir nur dann wirklich, wenn wir ihre Herausforderungen ernsthaft angehen, wenn wir also den Anspruch haben, KI so zu entwickeln und einzusetzen, dass sie zur Gerechtigkeit und Demokratie beiträgt, statt einfach in Kauf zu nehmen, dass KI Grundrechte beschneidet. Der zweite Punkt: Mich stört der scheinbare Gegensatz zwischen Regulierung und Innovation. Eine gute Regulierung ermöglicht genauso gute, gemeinwohlorientierte Innovation, sorgt aber dafür, dass Innovation den Interessen der Bevölkerung nicht zuwiderläuft. Innovation ist kein Selbstzweck, sondern soll den Interessen von Mensch und Gesellschaft dienen. Das Gegenüberstellen von Innovation und Regulierung ist deshalb falsch.
Angela Müller ist die Geschäftsleiterin von AlgorithmWatch CH in Zürich, Gesellschafterin von AlgorithmWatch in Berlin und Mitglied der eidgenössischen Medienkommission EMEK. Angela Müller hat politische Gremien in der Schweiz, Deutschland und Europa zum Thema KI-Regulierung beraten und wurde 2024 als eine von «100 Women in AI Ethics» weltweit ausgezeichnet. Sie hat Philosophie studiert und in Rechtswissenschaft promoviert.
Positionspapier: Welche KI wollen wir?
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