Machtübernahme durch eine Miliz in der ostkongolesischen Stadt Goma: Journalistinnen und Journalisten müssen sich überlegen, wie und worüber sie überhaupt noch berichten können.
Von Patrick Fleury*
Foto: Keystone/AP Photo/Moses Sawasawa
Was ist schlimmer für den Journalismus als ein autoritäres Regime? Der Wechsel zum nächsten autoritären Regime. Das ist gerade in der ostkongolesischen Millionenstadt Goma passiert. Die Miliz «Mouvement du 23 Mars» (M23) hat Ende Januar nach blutigen Kämpfen die Hauptstadt der Provinz Nord-Kivu eingenommen. Das neue Regime respektiert die Meinungsfreiheit mindestens so wenig wie das alte.
Ein paar Tage nach dem Einmarsch der M23 versammeln sich Medienschaffende und beraten, wie sie sich verhalten sollen. Keine Nachrichten mehr? In jedem Fall Politik vermeiden? Alle sind ratlos. Wie soll man die Bevölkerung informieren, wenn Kriegsherren die Stadt regieren? Gerade jetzt wären unabhängige Informationen nötig. Die Menschen wollen wissen, was die neuen Machthaber für ihren Alltag bedeuten.
Kritiker verschwinden spurlos
Aber alle haben Angst. Zu Recht. Denn die M23 wird vom Nachbarland Ruanda unterstützt und gesteuert. Ruanda ist ein Spitzelstaat. Kritiker verschwinden dort spurlos oder kommen bei mysteriösen Verkehrsunfällen ums Leben. Wenn man junge ruandische Journalisten ausbildet, verstummen sie, sobald politische Themen auf den Tisch kommen. Sie fürchten, der Sitznachbar könnte ein Spion des Staates sein.
Ganz anders verhalten sich kongolesische Journalismus-Schüler. Sie schimpfen lautstark über das Regime in der Hauptstadt Kinshasa, das nur in die eigene Tasche wirtschaftet. Bisher konnten sich die Kongolesen ein Stück freie Meinung leisten, wenn sie bereit waren, die staatliche Willkür zu ertragen. Unter dem alten Regime funktionierte das Machtspiel in Goma so: Wenn zum Beispiel der Chefredaktor eines Radios einen regierungskritischen Song sendete, ist er ein paar Tage untergetaucht. Er wusste, dass die Angelegenheit nach einer Weile vergessen war. Er konnte seine Arbeit wieder aufnehmen. Wenn der Geheimdienst jemanden verhaftet hat, haben die Kollegen Geld gesammelt und die korrupten Staatsdiener bezahlt. Meistens waren sie dann zufrieden und liessen die willkürlich verhafteten Journalisten wieder frei.
Traditionen bremsen Journalismus
Wenn es um die grosse Politik in der Hauptstadt Kinshasa ging, mussten die Journalisten allerdings mit mehreren Monaten Gefängnis rechnen. So etwa Stanis Bujakera, Korrespondent des Magazins «Jeune Afrique». Er hatte zum Mord an einem Oppositionellen recherchiert.
Die Journalisten haben sich dabei oft selbst ausgebremst. In der kongolesischen Gesellschaft stehen ältere Personen hierarchisch über jüngeren und Männer über Frauen. Das hat zur Folge, dass junge Journalisten sich nicht trauen, in Interviews mit älteren Gesprächspartnern nachzufragen, wenn sie eine nichtssagende Antwort bekommen.
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Journalistinnen werden erst recht nicht ernst genommen und haben selten den Mut, so lange zu bohren, bis sie eine informative Antwort bekommen. Journalistinnen erleben zudem oft Anmache oder sogar sexualisierte Gewalt. Das schüchtert sie ein. Manche Recherchen können sie nicht wagen, weil sie Gefahr laufen, vergewaltigt zu werden.
Das Machtspiel hat sich geändert
2021 wurde Nord-Kivu unter Militärherrschaft gestellt. Goma ist die Hauptstadt dieser Provinz. Alles, was die Armee «demotivieren» könnte, wurde verboten. Die Journalisten haben sich seither beim Thema Sicherheit einen Maulkorb auferlegt – mit fatalen Folgen.
Der Krieg der M23 hält in der Provinz an. Die Bevölkerung weiss nicht, wie es an der Front läuft. Oft müssen die Menschen in letzter Sekunde vor Kämpfen fliehen, weil sie nicht rechtzeitig informiert waren. Manchmal ist es für die Flucht sogar zu spät. In Goma herrscht jetzt die M23, unterstützt von Ruanda. Journalisten, die zuvor die Invasion des Nachbarn im Kongo kritisiert haben, sind geflohen. Die anderen beobachten die Lage. Das Machtspiel hat sich geändert: Früher ging es um Geld, jetzt geht es um Ideologie. Für die unabhängige Berichterstattung bedeutet das nichts Gutes.
* Patrick Fleury heisst in Wirklichkeit anders. Die Person und der Name sind der Redaktion bekannt. Er arbeitet in autoritären Ländern in Afrika. Um seine Sicherheit zu gewährleisten, muss er anonym bleiben.
Wenn die Macht kritischen Journalismus verhindert
Mit 87 Prozent der Stimmen wurde Ende Januar der Autokrat Alexander Lukaschenko zum siebten Mal zum Präsidenten von Belarus gewählt. Eine Farce. Die Wahl war weder frei noch fair – genauso wie die Berichterstattung darüber. Das Regime in Belarus duldet keinen kritischen Journalismus. Viele Medienschaffende haben deshalb das Land verlassen müssen. Und am Wahltag waren mehr als 40 Journalistinnen und Journalisten ihrer Arbeit wegen im Gefängnis. Wer sich gegen die Macht autoritärer Regims stellt, riskiert viel. Ende 2024 sassen weltweit mindestens 550 Journalistinnen und Journalisten wegen ihrer Arbeit im Gefängnis*. Fast die Hälfte von ihnen waren in vier Ländern inhaftiert: in China (mit Hongkong) 124, in Myanmar 61, in Israel 41 und in Belarus 40.
Zu viele Journalistinnen und Journalisten bezahlen ihre Arbeit mit ihrem Leben. Im letzten Jahr waren es 54; fast ein Drittel von ihnen, 18, wurde in Gaza getötet. Seit Kriegsbeginn starben dort mehr als 145 Medienschaffende, davon wurden nach den Recherchen von Reporter ohne Grenzen (RSF) mindestens 35 mit klarem Bezug zu ihrer Arbeit getötet.
Medienschaffende sind nicht nur in Kriegsgebieten in Lebensgefahr: In Bangladesch wurden 2024 fünf Medien schaffende bei Demonstrationen durch Vertreter der staatlichen Behörden getötet. Ebenfalls fünf Journalistinnen und Journalisten starben im Mexiko, weil sie mit ihren Recherchen ins Visier von Drogenkartellen und korrupten Politikerinnen und Politikern geraten waren. Obwohl kein Krieg oder Bürgerkrieg herrscht, ist Mexiko seit Jahren eines der gefährlichsten Länder für Medienschaffende.
* Die Zahlen für 2024 stammen aus der «Jahresbilanz der Pressefreiheit 2024» von Reporter ohne Grenzen (RSF), aktuelle Zahlen sind unter rsf.org zu finden.