Boulevardmedien haben in Österreich einen ausserordentlich hohen Marktanteil: Abgesehen vom ORF sind die grossen Massenmedien fast nur Boulevardblätter. «Wir haben also eine starke Boulevardisierung der Medienlandschaft», sagt der österreichische Journalist Florian Gasser im Gespräch mit «Edito». Das habe auch zu einer Boulevardisierung des Politbetriebs geführt: «Politiker handeln und denken oft gar nicht mehr so sehr als Politiker, sondern manchmal eher so wie Redakteure von Boulevardmedien. Sie wollen plakativ sein und Emotionen wecken.» Das Resultat ist eine «Boulevarddemokratie».
Edito: Du kennst als Leiter des «Zeit»-Büros in Wien auch die Situation der Medien in Deutschland und in der Schweiz – inwiefern unterscheidet sich Österreich von den anderen deutschsprachigen Ländern?
Florian Gasser: Um ein Informationsangebot in Österreich zu realisieren, brauche ich die gleichen Ressourcen wie in Deutschland, habe aber einen Markt, der nur ein Zehntel so gross ist. Gleichzeitig ist das Angebot aus Deutschland natürlich auch eine Konkurrenz – nicht nur im Internet. Das dürfte in der Schweiz ähnlich sein. Ich stelle aber fest, dass die Schweizer Medien im Vergleich zu österreichischen Medienhäusern über mehr Ressourcen verfügen.
Aus Schweizer Sicht ist Österreich stark zentralisiert auf Wien.
Für die Schweiz ist es sicher ein grosser Vorteil, dass die Medienhauptstadt und die politische Hauptstadt nicht identisch sind. Ich habe den Eindruck, dass die Medien in der Schweiz distanzierter über die Bundespolitik berichten. In Österreich ist alles in Wien, die meisten überregionalen Medien haben dort ihren Sitz und auch die Regierung und alle Ministerien sind da. Diese Nähe ist manchmal ungesund. Natürlich gibt das auch in anderen Ländern. Wir haben aber gerade in Österreich in den vergangenen Jahren immer wieder miterlebt, dass diese Nähe richtig toxisch werden kann.
Der österreichische «Boulevard» hat in der Schweiz einen schlechten Ruf. Zu recht?
Boulevard muss ja nicht per se schlecht sein. Der österreichische Politikwissenschaftler Fritz Plasser hat den Begriff der «Boulevarddemokratie» geprägt. Boulevardmedien haben in Österreich nämlich einen ausserordentlich hohen Marktanteil. Zieht man den ORF ab, bleiben als grosse Massenmedien vor allem Boulevardblätter übrig. Wir haben also eine starke Boulevardisierung der Medienlandschaft. Das hat auch zu einer Boulevardisierung des Politbetriebs geführt. Politiker handeln und denken oft gar nicht mehr so sehr als Politiker, sondern manchmal eher so wie Redakteure von Boulevardmedien. Sie wollen plakativ sein und Emotionen wecken. Das führt dazu, dass sachpolitische Themen oft untergehen. In Österreich wird deshalb viel mehr über Köpfe gesprochen, in der Schweiz viel mehr über Sachthemen.
Wie gross ist der Marktanteil ausländischer Medien in der Schweiz, etwa der deutschen TV-Sender?
Die genauen Zahlen habe ich nicht im Kopf. Deutsches Fernsehen zu schauen, ist auch in Österreich völlig normal. Deshalb gibt es auch die regionalisierten Werbefenster. Und Pro7-Sat1 betreibt in Österreich den grössten Privatsender. Bei den Tageszeitungen ist der Marktanteil ist der Marktanteil nicht so hoch, aber die deutschen Wochenzeitungen haben stark zugelegt, durch eingebaute Österreich-Seiten. Die «Süddeutsche» macht das seit einigen Jahren und wir bei der «Zeit» haben seit 20 Jahren eine eigene Österreichausgabe und ein Redaktionsbüro in Wien. Wir sind damit sehr erfolgreich.
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Was wir nicht kennen in der Schweiz, sind staatliche Inserate in den Printmedien. Gibt es die nach wie vor?
Ja, die gibt es. Es sind Anzeigen in Printmedien, die von Ministerien oder von staatsnahen Unternehmen geschaltet werden. Auf diese Weise werden jedes Jahr viele Millionen Euro in Medienunternehmen gepumpt. Es gibt zwar auch eine reguläre Medienförderung in Österreich, aber die macht betragsmässig nur einen Bruchteil dieser Inseratenumsätze aus.
In der Schweiz will die politische Rechte die SRG halbieren. Wie steht es um den ORF bestellt?
Das ist ja in ganz Europa so. Natürlich kann auch in Österreich die Rechte mit dem ORF wenig anfangen. Als die FPÖ zuletzt in der Regierung war, gab es die Idee, den ORF über das ganz normale Budget zu finanzieren, was natürlich zur Folge hätte, dass der Rundfunk jedes Jahr um sein Budget betteln müsste. Die Haushaltsabgabe gibt es in Österreich noch nicht so lange. Sie ist ein Hassobjekt der FPÖ, weil der ORF das wichtigste Leitmedium ist in Österreich und die Partei wenig Einfluss darauf hat. Deshalb möchte die FPÖ den ORF auf den Kernbereich der öffentlich-rechtlichen Aufgaben reduzieren. Dann würde der ORF natürlich in der Bedeutungslosigkeit verschwinden und das wäre auch das Ziel der FPÖ.
Wie steht es um die Polarisierung der Medien?
Ich habe manchmal den Eindruck, dass man sich geniert, sich zu einer Anschauung zu bekennen. In der Schweiz scheint mit das anders zu sein. Die NZZ oder die WoZ zum Beispiel lassen sich klar zuordnen. In Österreich ist das weniger der Fall. Da gibt es vor allem den Bruch zwischen den Boulevardmedien und den anderen. Ich glaube, dass die Schweizer Medien klarer positioniert sind. Eine starke Zunahme gibt es in Österreich im Bereich der alternativen Medien wie «Auf1» am ganz rechten Rand – also das, was in der Schweiz Roger Köppel mit der Weltwoche abdeckt. Da gibt es bei uns auch mehr Onlinemedien, die eine nicht geringe Reichweite haben und vor allem während der Corona-Zeit ein Hoch hatten.
Florian Gasser (*1981) leitet das Wiener Büro der Wochenzeitung «Die Zeit». Er hat in Innsbruck und Perugia Politikwissenschaft studiert und ist beim Monatsmagazin «Datum» in den Journalismus eingestiegen. In der Schweiz ist er als Stimme Österreichs im Alpen-Podcast der «Zeit» «Servus, Grüezi, Hallo» bekannt.