Wie mein Einzug in die USA nicht nur meinen Zucker-, sondern auch meinen Podcast-Konsum in ungesunde Höhen hat schnellen lassen.
Von Susanna Petrin, New York
Es ist eine Sucht. Wenn ich alle Podcasts, die ich abonniert habe, hören würde, bräuchte ich jeden Tag allein dafür sechs Stunden. Würde ich mir gar sämtliche Sendungen anhören, die mich interessieren, täte ich gar nichts anderes mehr – und bräuchte obendrein so einige Klone, um nachzukommen. Wenn ich nicht gerade schreibe oder lese, so höre ich: Beim Zähneputzen, beim Kochen, beim Fahrradfahren, in der U-Bahn, ja sogar in der Dusche. Sogar gebügelte Kleidung trage ich seit der Erfindung von Podcasts öfter, denn Hausarbeit ist nicht mehr verlorene Zeit, wenn ich dazu etwas Interessantes, selbst Gewähltes hören kann. Via Ohrstöpsel oder iPhone-Lautsprecher – da sind in meinem Alltag ständig Stimmen in Ohrnähe, die mir die Welt erklären. Ähnlich wie andere Menschen von einer Duftwolke umgeben sind, bin ich von Audiowellen umschallt. (Dem Ehemann wäre ein Parfüm lieber.)
Wie so oft, ist meine Vorliebe weder originell, noch bin ich damit allein. Die Zahl der Podcasts und deren Hörerschaft steigen seit Jahren rapide an. Gemäss Podcastindex.org sind derzeit weltweit rund 4.5 Millionen Podcasts registriert; ein Vielfaches an zugehörigen Episoden erscheint jährlich. Über 500 Millionen Menschen weltweit hören regelmässig zu.
Der grösste Podcast-Markt der Welt
Von allen Ländern der Welt stellt meine aktuelle Heimat, die USA, den grössten Podcast-Markt. Hier entstehen die meisten Beiträge, fliesst der höchste Anteil an Werbeeinnahmen, lebt der grösste Teil der Konsumenten. 2, 3 Milliarden US-Dollar Gewinn sind für 2025 allein in den USA budgetiert. Etwa 115 Millionen Menschen hören wöchentlich Podcasts, das entspricht 40 Prozent der Bevölkerung ab 12 Jahren. Der meistgehörte Podcast der Welt ist aus Amerika. Der Erfinder dieses Mediums ist Amerikaner: Adam Curry, damals ein MTV-Journalist, soll um 2000 herum mit Audio in Verbindung mit RSS-Feeds experimentiert haben. Er wird als der «Podfather» bezeichnet. Ich bin also ins Podcast-Land gezogen; kein Wunder, ist auch mein Podcast-Konsum, schon davor hoch, weiter angestiegen.
Ich will weiterhin wissen, was in meiner alten Heimat Schweiz läuft, aber zugleich die temporäre Heimat USA verstehen lernen. Meine 35-jährige Gewohnheit, täglich das «Echo der Zeit» zu hören, gebe ich nirgendwo auf; dieses Audio-Flaggschiff gibt mir nun als Podcast weiterhin einen guten Überblick über in- wie ausländische News aus Schweizer Perspektive. Bei «Kultur Kompakt» drücke ich schon immer öfter auf die 30-Sekunden-vorwärts-Taste – ich muss nicht mehr von jedem Anlass erfahren, den ich nicht besuchen kann. Bei «Deutschlandfunk Kultur» höre ich wenigstens täglich die etwa fünfminütige Presseschau – DLF ist das BBC der deutschsprachigen Medien.
Professionelle Nachrichten und geschwätzige Amateure
Und nun, da ich seit einigen Jahren in den USA lebe, eröffnet sich mir hier also die weiteste aller nationalen Podcast-Landschaften. Hunderte von Sendungen, in denen Tausende Experten die amerikanische Politik und Gesellschaft von allen Seiten sezieren. Meiner Meinung nach besonders gescheit in «The Daily», bei Ezra Klein – beide von der «New York Times» – sowie der NPR-Sendung «Fresh Air». Traditionelle Nachrichtenmedien machen meiner Meinung nach die besten Nachrichten-Podcasts. Hier kann man sich auf eine gute Struktur, von einem Profi-Team überprüfte Fakten, gut recherchierte Hintergründe sowie geschulte Fragesteller verlassen. Für geschwätzige Amateure ist mir meine Zeit zu schade.
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Der beliebteste Podcaster der USA ist Joe Rogan. Rund 11 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner – und immer mehr Menschen ausserhalb seines Landes – hören oder schauen regelmässig seine Show «The Joe Rogan Experience» auf einem Audio- oder Videokanal ihrer Wahl. Seine Sendung gilt sogar als die meistgehörte weltweit. Und da verstehe ich die Welt nicht mehr. Denn seine Show besteht mittlerweile aus weit über 2000 langfädigen, mäandernden Gesprächen; kaum strukturiert, unkritisch geführt, voller Banalitäten.
Ersatz für den nebenbei laufenden Fernseher
Offenbar nehmen viele Hörer das als authentisch war. Vielleicht dient es auch als nahtloser Ersatz für den nebenbei laufenden Fernseher. Vielleicht ist die Informationsdichte, die ich bei anderen Podcasts so schätze, vielen Menschen viel zu anstrengend. Deshalb hören sie nebenbei Joe Rogan – ganz ohne Informationen. Mit Sicherheit hat Joe Rogan den Vorteil, einer der ersten gewesen zu sein: 2009 hat er mit seiner Sendung begonnen, da war die Konkurrenz noch überschaubar. So konnte er sich schon früh ungestört eine treue Stammhörerschaft aufbauen.
Donald Trumps Auftritt bei Joe Rogan während des Wahlkampfs 2024 soll zu dessen Sieg beigetragen haben. Fast drei Stunden konnte Trump sich in einem freundlichen Gespräch mit Rogan ausbreiten. Kamala Harris wäre auch bei Rogan eingeladen gewesen, doch sie lehnte ab. Es dürfte einer ihrer grösseren Fehler in jenem Wahlkampf gewesen sein. Und es stimmt nachdenklich, dass die Wichtigkeit von beliebten Podcasts sich noch nicht bei der Spitze der Demokraten herumgesprochen haben, nicht einmal bei deren wichtigstem Wahlkampfteam.
Auffallend viele rechtspopulistische Prominente
Es ist umstritten, wo genau Joe Rogan politisch steht. Er sei weder Demokrat noch Republikaner, er sei Amerikaner, sagt er. Doch der einflussreichste Podcaster des Landes scheut sich nicht davor, auffallend viele rechtspopulistische Prominente einzuladen. Und er lässt sie ihre Ansichten und Propaganda seinem Millionenpublikum unwidersprochen unterbreiten. Donald Trump etwa behandelt er wie jeden anderen «Dude»: kollegial. Rogan bietet nicht nur keinerlei Widerstand, er hilft Trump sogar mit Suggestionsfragen besser dazustehen, als er es sonst täte. Fast noch schlimmer ist es bei Elon Musk, der noch abstrusere Unwahrheiten erzählt, dabei wird er von Rogan bestätigt, ja angefeuert. Joe Rogan ist entweder zu wenig informiert oder zu fügsam, um Inhalte kritisch zu hinterfragen. Er biedert sich stattdessen aufs Unerträglichste an, beim Mächtigsten ebenso wie beim Reichsten.
Im Schnitt wird bei Rogan 2 Stunden und 40 Minuten geredet und geredet – gelabert trifft es meiner Ansicht nach besser. Aber ich gehöre auch nicht zu seinem Zielpublikum. Das ist männlich und zwischen 17 und 35 Jahre alt. Seine Interviewgäste sind entsprechend ebenfalls zu 90 Prozent Männer. Zwischendurch gibts kurze Reklameblöcke, die Rogan gleich selbst einspricht – so viel zur Trennung von Redaktion und Werbung. Aus journalistischer Perspektive verstösst Joe Rogan gleich gegen mehrere Richtlinien des Berufskodex.
Mangelnde Mundhygiene und Langeweile
Manche Gäste werden von Rogan Dutzende Mal eingeladen. Den Rekord hält Brendan Schaub, ein Comedian und Podcaster – und Trump-Supporter. Dieser Schaub ist, wie die meisten von Rogans Kandidaten, ausserhalb der USA ziemlich unbekannt. Beim Scrollen durch die Episoden stosse ich auf den Podcast-Erfinder Tim Curry. Die Stimmen ähneln sich und ich tue mir schwer, auseinanderzuhalten, wer hier eigentlich Moderator ist und wer Gast. Rogan wählt zudem nicht gerade einen pointierten Gesprächseinstieg: Die ersten zehn Minuten sprechen die beiden über die mangelnde Mundhygiene von Curry. Ich schalte in weitere Episoden rein und langweile mich bei jeder masslos.
In diesem gespaltenen Land sind Podcasts immer häufiger grundsätzlich für oder gegen Trump. Auffallend viele einstige Politikberater, politische Mitarbeiter oder führende Thinktanks versuchen via des schnellen und günstigen Mediums Einfluss zu nehmen. Da ist etwa «Pod Save America» des ehemaligen Obama-Beraters Jon Favreau, das es mittlerweile regelmässig in die US-Top-Ten schafft. Oder der Podcast des Lincoln Project, betrieben von einem Komitee ehemaliger republikanischer Strategen und moderaten Konservativen, die aber Donald Trump ablehnen – aus tiefster Seele und begleitet von vielen Kraftausdrücken.
Die «New York Times» investiert massiv
Auch traditionelle Medien setzen in den USA immer stärker auf das noch frische Medium. Die «New York Times» hat in den letzten Jahren massiv in Podcast-Sendungen investiert und sogar eine eigene Audio-Plattform kreiert. Seit 2024 stellt das Medienhaus viel dieser Inhalte nur noch Abonnenten oder gegen Entgelt zur Verfügung. Für Fragen zu ihrer Podcast-Strategie war trotz mehreren Nachfragen leider niemand erreichbar. Doch die «New York Times» scheint erkannt zu haben, dass dieser Markt noch nicht gesättigt ist. Vielleicht könnte ihre Strategie Schweizer Medienhäusern als gutes Beispiel dienen?
Immer öfter gibt es Podcasts auch mit Video, also Videocasts. Es heisst, dafür sowie für Live-Videos werde die Nachfrage noch merklich steigen, das sei der nächste noch grössere neue Medientrend. Ich wäre mir da nicht so sicher. Denn mit Videos geht aus meiner Sicht der grösste Vorteil von Podcasts verloren: Dass man die Augen frei hat für anderes. Und mit dem Live-Aspekt fällt der zweite Vorteil weg: Dass man Inhalte eigener Wahl genau dann hören kann, wenn man gerade Zeit hat. In meiner halbfreiwilligen Wahlheimat USA kann jede und jeder dank Podcasts sogar beim vielen Autofahren klüger werden – oder sich einer Gehirnwäsche unterziehen. In diesem weiten Land of the Free.



