Die Digitalmesse re:publica 2025 versprach mit zwei Keynotes zum Thema Journalismus wichtige Impulse für eine Branche in der Krise. Was folgte, waren jedoch oberflächliche Allgemeinplätze und Binsenweisheiten, die jeder Medienstudent im ersten Semester hätte formulieren können. Warme Luft statt konkrete Strategien – und das in einer Zeit, in der der Journalismus existenziell bedroht ist.
Von Reto Vogt
Peter Schink, Chefredakteur der Berliner Morgenpost, und Anne Krum, Digitalchefin der Westdeutschen Allgemeinen, eröffneten mit der steilen These, Medienwebsites müssten zu Plattformen werden. Eine Lösung der beiden? Eine Café-Empfehlungsplattform für Berlin, bei der 6000 Menschen 300 Lokale bewerteten. Daraus soll bis 2030 eine grosse Vision entstehen: «Die Menschen können sich bei uns verbinden, diskutieren, schlau werden, die Welt neu verstehen.» An den Details arbeite man noch – was man den vagen Ausführungen auch deutlich anmerkte.
Das Problem: Ihre Analyse krankt bereits am Fundament. «Wir müssen das Netz so nutzen, wie es funktioniert», verkünden sie, als hätten sie das Internet gerade erst entdeckt. Dass Verlinkung, Vernetzung und Personalisierung seit 20 Jahren Standard sind, scheint an ihnen vorbeigegangen zu sein. Ihre Idee für die «Plattform zum Fragen stellen» sei zwar «natürlich geklaut», aber das mache nichts.
Sie wollen «nicht zu Facebook und Instagram werden, sondern eigene Kanäle aufbauen» – ignorieren dabei aber völlig, dass erfolgreiche Community-Plattformen Jahre brauchen, um kritische Masse zu erreichen, und Millionen kosten. Wie das ein kriselnder Regionalverlag stemmen soll, bleibt ihr Geheimnis. Mir gefällt die Idee grundsätzlich, weil sie Unabhängigkeit von grossen Plattformen verspricht, aber die erwähnten Probleme (beziehungsweise Herausforderungen) bleiben.
Ellen Heinrichs und die drei Survival-Strategien
Ellen Heinrichs vom Bonn Institute präsentierte drei «Survival-Strategien» für den Journalismus, die so neu sind wie die Erfindung des Rades: Bedürfnisse verstehen, Hoffnung bieten, Zuhören fördern.
Ihre bahnbrechende Erkenntnis: 30 Prozent der Menschen sind unter 30 Jahre alt. Journalismus müsse sich fragen, was er für junge Menschen tue. «Wo sind die Informationsangebote für diese Menschen?» fragt sie. Dasselbe gelte für Familien, Mütter, Interessierte am Klimawandel oder Menschen, die keine Texte lesen und verstehen können. Sie findet: Spezifische, nutzerinnen- und nutzerorientierte Inhalte könnten besser monetarisiert werden. Ihr Lösungsbeispiel: The Green Line, ein kleines, profitables Medienhaus. Dass dieses Modell bewusst nicht skalierbar ist, gibt sie selbst zu – verschweigt aber, wie das einer ganzen Branche helfen soll, die sich gerade in der grössten Transformation ihrer Geschichte befindet.
Was wirklich fehlte
Beide Keynotes umschifften die harten Fragen elegant: Wie finanziert sich Qualitätsjournalismus, wenn Google und Meta die Werbeerlöse abgreifen? Wie begegnet man KI-generierten Inhalten, die billiger und schneller produziert werden? Wie baut man nachhaltige Geschäftsmodelle jenseits der gescheiterten Paywall-Hoffnungen?
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Stattdessen war viel Feel-Good-Rhetorik zu hören: Von «Vertrauen aufbauen» bis «echte Beziehungen» schaffen – als wäre das Medienproblem ein Kommunikationsproblem und nicht ein strukturelles Marktversagen.
Besonders bitter: Die Referenten ignorierten die internationale Medienlandschaft völlig. Während in den USA Newsletter-Formate wie Substack Millionenumsätze generieren und in Skandinavien öffentlich-rechtliche Innovation stattfindet, beschränkte sich der Blick auf deutschsprachige Binnenperspektiven.
Fazit: Ratlosigkeit als Programm
Nach zwei Stunden Keynotes wird deutlich: Die Medienbranche tappt im Dunkeln. Statt mutiger Experimente oder radikaler Ansätze gab es Plattitüden und Wunschdenken. Kritisieren ist einfach, das stimmt. Ich bin auch nicht schlauer und mir fehlen ebenfalls die wirklichen Lösungen (ausser fairer Medienförderung) gegen die Medienkrise.
Aber genau deshalb hätte ich mir von einer Konferenz wie der re:publica mehr erhofft: konkrete Experimente, internationale Perspektiven, unbequeme Wahrheiten. Stattdessen bekam das Publikum Motivationsrhetorik und die Illusion, mit ein bisschen mehr Community-Spirit werde schon alles gut.
Die Medienbranche braucht keine warmen Worte – sie braucht radikale Ideen und den Mut, auch zu scheitern. Davon war auf der re:publica leider nichts zu spüren.
Reto Vogt ist Studienleiter Digitale Medien und KI und «Edito»-Kolumnist
https://retovogt.ch/