Ein grauenvoller Femizid im Kanton Baselland wirft die Frage auf, wie Medien über die Tötung von Frauen aufgrund ihres Frauseins berichten sollten. Es besteht viel Luft nach oben.
Von Valerie Zaslawski
In Binningen im Kanton Basel-Landschaft wurde im Februar 2024 auf grausame Art und Weise eine 38-jährige Frau ermordet. Die Frau war eine ehemalige Miss-Schweiz-Kandidatin und damit eine zumindest halbwegs öffentlich bekannte Figur des Zeitgeschehens. Der Tat dringend verdächtigt wurde ihr Ehemann. «Du wirst schon sehen, die ganze Welt wird noch über diesen schrecklichen Mord reden», prophezeite mir eine Bekannte letzten Sommer.
Der Ehemann wurde nach der Tat verhaftet, stellte aber ein Haftentlassungsgesuch. Damit scheiterte er bei allen Instanzen. Er zog sein Gesuch aber weiter bis vor das Bundesgericht in Lausanne. Im September 2024 lehnte auch das Bundesgericht sein Gesuch ab und veröffentlichte das Urteil dazu. Auf diesem Weg wurden schreckliche Details des Falls publik. Laut Urteil hat der Mann die Frau nicht nur grausam ermordet, sondern danach die Leiche kaltblütig zerstückelt.
Einige Schweizer Medien berichteten sehr detailliert darüber. Aus Sicht des Basler Frauenhauses handelte es sich dabei um einen Femizid, also um einen geschlechtsspezifischen Mord. Die Berichterstattung darüber war für das Frauenhaus zu detailliert: Ende Januar 2025 reichte es gemeinsam mit der Dachorganisation Frauenhäuser Schweiz Liechtenstein (DAO) Beschwerde beim Presserat ein – wegen Verstosses gegen den journalistischen Kodex, namentlich durch «20 Minuten» und «Nau.ch». Eine Premiere, deren Ausgang noch offen ist; die Behandlung einer Beschwerde kann bis zu einem Jahr dauern.
Luft nach oben: Kontext geben
«Es ist ein Beispiel für eine sehr schwierige Berichterstattung», sagt Co-Geschäftsleiterin von DAO, Blertë Berisha, zu «Edito». Aber die Klage sei auch «repräsentativ für andere Berichterstattung». Berisha rügt jene Medien, die nur über Tötungsdelikte berichteten, weil es Clicks gebe. Der Schutz der Betroffenen und der Opfer müsse oberste Priorität haben, findet sie.
Tatsächlich besteht im Bewusstsein und insbesondere in der medialen Qualität der Berichterstattung über Femizide noch viel Luft nach oben. Wenn auch in den letzten Jahren immerhin die Verwendung des Begriffs geläufiger geworden ist. Nur selten verwechselt heute noch jemand Femizid mit Pestizid. Das mag nach einem schlechten Scherz klingen, war es lange aber leider nicht.
Doch auch heute scheint es Journalistinnen und Journalisten schwerzufallen, Femizide angemessen einzuordnen. In einem sind sich die Experten, die sich gegen Gewalt an Frauen einsetzen, einig: Es ist wichtig, Femizid in einen Kontext zu setzen: Alleine in der Schweiz wird alle zwei Wochen eine Frau durch ihren Ehemann, Lebensgefährten, Expartner, Bruder oder Sohn getötet. Eine Statistik für Femizide gibt es zwar nicht. Verschiedene gemeinnützige Projekte wie Stop Femizid oder NGOs wie Brava listen Femizide aber auf, um das Bewusstsein für die Morde zu schärfen, die die Medien lange zum Beispiel als «tödliches Eifersuchts-Drama» verharmlosten.
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So findet Julia Meier, die bei Brava für die politische Arbeit zuständig ist, man müsse das strukturelle Problem aufzeigen: «Femizide sind keine Einzelfälle, sondern Resultat von struktureller Gewalt, deren Ausgangspunkt in den patriarchalen Machtverhältnissen unserer Gesellschaft liegt.» Berisha ergänzt, Femizid sei «die Spitze einer Gewaltpyramide», der Alltagssexismus und Bagatellisierungen geschlechtsbezogener Gewalt zugrunde lägen. Und Nora Markwalder, Kriminologin von der Universität St. Gallen, erklärt gegenüber «Edito»: «Der heikelste Moment für einen Femizid ist die Trennung.» Femizide könnten oft verhindert werden, denn das Problem beginne vorher.
Medienschaffende stehen vor einem Dilemma. Den Opferschutz sollten die Berichterstattenden gerade bei Gewalt gegen Frauen stets im Blick haben, es sollte aber auch über Täter geschrieben werden. Im Fall von Gisèle Pelicot konnte dadurch das breite gesellschaftliche Phänomen aufgezeigt werden. Oder wie es die NZZ formuliert: «Weil der Prozess gegen ihren Ehemann und fünfzig weitere mutmassliche Täter öffentlich stattfindet, lernen die Franzosen, wie gewöhnliche Männer zu Tätern schwerster Verbrechen wurden.» Aber es brauchte Pelicots Entschluss, an die Öffentlichkeit zu gehen, und die Forderung, dass die Scham die Seiten wechseln müsse, damit die Medien überhaupt die Perspektive des Opfers einnehmen konnten.
Keine Projektion auf andere Kulturen
Wichtig ist zudem, dass kein «Othering» stattfindet, also keine Projektion eines Problems auf andere Kulturen. Zu oft wird in der Berichterstattung impliziert, Femizide seien, verkürzt gesagt, ein Ausländerproblem oder es gebe sie nur in Kulturen, wo man bezüglich Gleichstellung halt noch nicht so weit sei wie in der Schweiz. Wer so etwas behauptet, setzt sich über jede Kriminalitätsstatistik zur häuslichen Gewalt hinweg. Gewalt gegen Frauen ist kein Ausländer-, sondern ein Männerproblem. Patriarchale Strukturen gibt es auch in der Schweiz.
Femizide gehen die breite Gesellschaft etwas an und natürlich auch den Staat – der aber leider andere Prioritäten setzt, wenn es nach den Aktivist:innen geht. Um auf das staatliche Versagen hinzuweisen, verwendet die NGO Brava je nach Publikum den weiterentwickelten Ausdruck «Feminizid». Mit der zusätzlichen Silbe ni wolle man darauf hinweisen, dass geschlechtsspezifische Gewalt auf staatlicher Ebene zu wenig angegangen werde, sagt Meier. Beide Begriffe beschreiben aber synonym die Tötung einer Frau aufgrund ihres Frauseins.
«Beziehungsdrama» verharmlost Gewalt
Ob Medien nun von Feminizid oder Femizid schreiben, spielt weniger eine Rolle. Wichtiger ist es gemäss den Aktivist:innen, einen Femizid als solchen zu benennen. Auf keinen Fall soll in der Berichterstattung von einem «Beziehungsdrama» gesprochen werden, weil dadurch Gewalt verharmlost werde und die gesellschaftliche Komponente des Problems wegfalle. Der Fokus auf den Einzelfall sei kontraproduktiv.
Gleichzeitig stehen Medienschaffende vor der Herausforderung, wann man eine Tötung als «Femizid» bezeichnen soll und wann doch besser als «Tötungsdelikt». So ist zumindest von aussen betrachtet das Tatmotiv – geht es wirklich ums Geschlecht? – nicht immer klar fassbar. Das kritisiert auch Kriminologin Markwalder, für die der Begriff «Femizid» Unschärfen hat. So sehr dieser in der Berichterstattung etwas bewirkt habe, stünde für die Forschung stets die Operationalisierung im Fokus: «Es braucht klare Kriterien.» Doch dem Begriff «Femizid» liegt kein strafrechtlich dogmatisches Konzept zugrunde, mit dem man prüfen könnte, ob die entsprechenden Merkmale gegeben sind. Meier von Brava würde die Definition von Femizid nicht unscharf nennen wollen, räumt aber ein, dass «es manchmal schwierig ist, Definitionen auf Einzelfälle herunterzubrechen». Sie sagt: «Wir haben zu wenig Informationen.»
So ist auch im Binninger Fall noch nicht ganz klar, ob der Mann, bei dem gemäss aktuellem Untersuchungsstand «konkrete Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung» bestehen, überhaupt schuldfähig ist. Würde man im Falle einer Schuldunfähigkeit trotzdem von Femizid sprechen? Kriminologin Markwalder meint, dass in den meisten Fällen die Täter trotz psychischer Beeinträchtigung ohnehin schuldfähig seien. Und Meier von Brava sieht kein Problem, den Begriff «Femizid» zu verwenden, weil die mutmassliche Tötung geschlechterspezifisch war, unabhängig davon, ob die Person krank ist oder nicht. Sie sagt: «Die psychische Verfassung entschuldigt die Struktur dahinter nicht.» Meier plädiert für Sorgfalt in alle Richtungen.
Die Berichterstattung über Femizid bleibt also ein zweischneidiges Schwert. Mehr Berichterstattung ist allein schon aus gesellschaftsaufklärerischer Sicht wichtig, kann aber auch schaden, wenn – im Einzelfall – die Sorgfaltspflicht verletzt wird.



