Forschung  Zahlen zum Medienmarkt

28.10.2024

Das Medienvertrauen sinkt. Was tun?

Eine «steigende Skepsis gegenüber den Medien» stellt Linards Udris, Erstautor des Schweizer Berichts des aktuellen Digital News Report, fest. Was ist passiert? Wie können sich Medien das Vertrauen zurückholen? Edito hat bei Udris nachgefragt.

Von Bettina Büsser

Das Interesse an Nachrichten in der Schweiz sinkt. 2016 waren in der Schweiz 59 Prozent der Befragten «sehr» oder «äusserst» an Nachrichten interessiert – 2024 sind es noch 48 Prozent. Das ist eines der Resultate des Reuters Institute Digital News Report* für die Schweiz. Die Studie untersucht jedes Jahr die Newsnutzung in 47 Ländern. Das Interesse, sagt Linards Udris, Erstautor des «Länderberichts Schweiz» des Digital News Report **, habe messbar abgenommen – aber nicht so stark wie in anderen Ländern. Er führt den Rückgang auf einen «gewissen Informationsüberdruss» zurück, der wohl mit den «grossen Krisenereignissen» wie Pandemie und die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten zu tun habe.

Spielt das ebenfalls zurückgehende Vertrauen in Medien eine Rolle beim Rückgang des Interesses?
Linards Udris: Das ist möglich, ist aber höchstens einer von verschiedenen Faktoren. Beim Vertrauen wiederum gibt es keine klaren Trends, kein klares Muster. Vor der Pandemie stieg es etwas, danach fiel es wieder. Möglich, dass auch Abstimmungskämpfe jeweils einen Einfluss auf das gemessene Medienvertrauen hatten. So stieg das Vertrauen 2018 vor der No-Billag-Abstimmung, sank im Jahr danach und stieg 2020 wieder.

2016 vertrauten 50 Prozent der Befragten den Nachrichten und damit auch den Medien. Zurzeit sind es nur noch 41 Prozent. Das heisst: 59 Prozent vertrauen den Medien nicht. Das ist doch schockierend.
Da muss ich Sie korrigieren. 41 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, man könne dem Grossteil der Medien meist vertrauen, 27 Prozent stimmen nicht zu. Rund 31 Prozent sind unentschlossen. Die Frage ist, wie man Letztere einordnet. Vielleicht kann man bei ihnen von einer gesunden Skepsis sprechen. Oder sie sind sehr differenziert und finden, dass sie manchen Medien vertrauen, anderen wiederum nicht.

In den letzten acht, neun Jahren lag der Anteil derjenigen, die den Medien nicht vertrauen, immer zwischen einem Fünftel und einem Viertel der Gesellschaft. Im internationalen Vergleich liegt die Schweiz beim Medienvertrauen im oberen Mittelfeld. Sie schneidet besser ab als Länder, die man als polarisiert bezeichnet.

Laut der Studie vertrauen Personen ab 35 Jahren, diejenigen mit einer mittleren bis hohen Bildung und diejenigen, die sich in der politischen Mitte verorten, den Medien mehr als Jüngere, Personen mit tiefem Bildungsgrad und diejenigen, die sich selbst als politisch «rechts» oder «links» positionieren. Dass das Vertrauen bei Jüngeren tiefer liegt, könnte laut Udris unter anderem daran liegen, dass diese im digitalen System, also mit vielen und sehr unterschiedlichen Quellen, aufgewachsen sind: «Die jungen Leute wissen deshalb vielleicht eher, dass im Umgang mit Nachrichten eine gesunde Skepsis nicht schadet.»

«Es gibt in der Schweiz über alle Gruppen hinweg eine steigende Skepsis gegenüber den Medien.»

Linards Udris

Faktoren wie Bildung, Alter und politische Orientierung spielen eine Rolle beim Medienvertrauen, das hat sich schon in den früheren Digital-News-Report-Studien gezeigt. Allerdings hat sich bei diesen Faktoren wenig verändert.

«Es muss also in der Schweiz über alle Gruppen hinweg eine gewisse steigende Skepsis gegenüber den Medien gegeben haben», so Udris. Als mögliche Ursachen nennt er die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, die zu einer stärkeren Polarisierung geführt hätten. Dass in diesem Zusammenhang Desinformation mehr zum Thema geworden ist, habe möglicherweise ebenso einen Einfluss wie die Kritik an den Medien in der Pandemie.

In Onlinekommentaren ist die Pandemie auch heute immer wieder ein Thema: Die Medien hätten damals gelogen und man könne ihnen deshalb nicht mehr glauben. Es wirkt, als seien viele Leute dieser Ansicht. Oder sind es wenige, die laut sind?
Ich tendiere zur zweiten Interpretation. Wir wissen ja aus der Forschung, dass nur eine Minderheit auf Webseiten oder sozialen Medien kommentiert oder Nachrichten teilt. Es sind tendenziell eher Männer und eher Personen, die stärker an den politischen Rändern stehen und mit ihrer starken Überzeugung an die Öffentlichkeit treten wollen.

Auch wenn Männer häufiger kommentieren oder Nachrichten teilen: Beim Medienvertrauen spielt das Geschlecht offenbar keine Rolle, denn es gibt bei diesem Thema laut Udris keine signifikanten Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Einen kleinen Unterschied gibt es hingegen innerhalb der Schweiz. Denn in der Deutschschweiz vertrauen 42 Prozent der Befragten den Medien, in der französischsprachigen Schweiz nur 39 Prozent. Es gebe, so Udris, keine Untersuchungen zum Thema. Die Forschung kenne aber eine Einteilung in Mediensysteme. Eines davon ist das «demokratisch-korporatistische Mediensystem», zu dem etwa die nordischen Länder und Deutschland gehören. Dort waren laut Udris die Zeitungen wichtig, der öffentliche Rundfunk ist stark und das Medienvertrauen höher. Zu einer zweiten Gruppe gehören sogenannte «polarisiert-pluralistische Länder», in denen Fernsehen wichtiger war als Zeitungen und in denen das Medienvertrauen niedriger ist. Frankreich gehört zu dieser Gruppe. Möglicherweise, sagt Udris, orientiere sich die Deutschschweiz medienkulturell eher an Deutschland, die französischsprachige Schweiz an Frankreich: «Das ist jedoch eine Spekulation, denn bei vielen Faktoren des Mediensystems der Schweiz ticken die vier Landesteile ähnlich.»

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Für die Studie wurde ja gefragt, wie «wichtig» oder «eher wichtig» acht verschiedene Aspekte sind, wenn die Befragten entscheiden müssen, welchen Nachrichtenmedien sie vertrauen oder eben nicht vertrauen. Was ist ihnen dabei wichtig?
Fast drei Viertel der Befragten sagten, es sei ihnen «wichtig» oder «eher wichtig», ob die Medien transparent kommunizieren, wie die Nachrichten entstehen. Transparenz trägt also viel zum Medienvertrauen bei. Knapp 70 Prozent nannten «hohe journalistische Standards» als wichtigen Faktor. Aus anderen Studien wissen wir, dass die Leute dabei in etwa die klassischen Qualitätsindikatoren im Kopf haben: Wahl von relevanten Themen, Kennzeichnung der Beiträge, Rede und Gegenrede, also die professionellen Kriterien im Journalismus.

Was sind weitere Kriterien für Medienvertrauen?
Etwas mehr als 60 Prozent gaben an, ihnen sei wichtig, dass die Medien «Menschen wie mich fair repräsentieren», dass sich die verschiedenen Gruppen also repräsentiert sehen. In einem früheren Reuters Digital News Report gab es dazu auch spezifische Fragen. Dort war die Zufriedenheit der meisten Gruppen relativ hoch. Diejenigen mit et- was tieferem Einkommen und auch die Frauen waren jedoch etwas weniger zufrieden mit ihrer Darstellung. Aber es gab nirgends eine riesige Kluft. Ausserdem ist es für rund die Hälfte der Befragten wichtig, dass die Medien «ausgewogen sind», dass sie Werte vertreten, «die meinen eigenen Werten entsprechen», und dass sie nicht «sensationslüstern» sind. Ebenfalls rund die Hälfte fand, es spiele beim Vertrauen eine wichtige Rolle, wenn ein Medium eine «langjährige Geschichte» habe. Und 35 Prozent fanden, wichtig für ihr Vertrauen in Medien sei, dass die Medien nicht «zu negativ» seien.

«Es braucht generell mehr Aufklärung, wie Journalismus funktioniert.»

Linards Udris

Transparenz ist ein wichtiger Faktor für das Vertrauen in Medien und Nachrichten. Ideen wie eine ausführliche Auflistung der Quellen eines Artikels wie bei «zentral plus» findet Udris deshalb «generell eine gute Sache». Auch in Sachen künstliche Intelligenz (KI) wäre Transparenz angebracht. Denn laut dem Digital News Report fühlen sich in der Schweiz 53 Prozent der Befragten «sehr unwohl» oder «unwohl», wenn sie Nachrichten nutzen, die durch KI «mit gewisser menschlicher Kontrolle» produziert wurden. Am stärksten ist dieses Unbehagen bei politischen Themen, aber auch, wenn es um Kriminalität, Wirtschaft und Lokalnachrichten geht. Noch, so Udris, wisse ein grosser Teil der Bevölkerung nicht wirklich, wie und wo KI im Journalismus eingesetzt wird, sei aber grundsätzlich skeptisch. Laut einer früheren fög-Studie erwarten die Kunden von den Medienhäusern, dass sie offenlegen, wie sie mit KI umgehen. Das könnte Vertrauen schaffen. Laut Udris würde es wahrscheinlich gut ankommen, wenn ein Medienhaus dann noch kommuniziert, welche Vorteile der Einsatz von KI haben kann. Tun Medienhäuser das nicht, dann bleiben viele Leute vermutlich bei ihrer bereits in Umfragen festgestellten Wahrnehmung, nämlich dass KI den Aufwand der Redaktion verringere und man deshalb eigentlich die Abo-Preise senken könnte: «Das Publikum ist sehr, sehr preissensitiv.»

Die Studie fragt auch nach dem Vertrauen in verschiedene Medienmarken.
Seit Jahren sind die Resultate in diesem Bereich dieselben, es ist schon fast langweilig: Der öffentliche Rundfunk liegt immer an der Spitze, dann folgen die überregionalen Abonnements-Zeitungen, weiter unten liegen Angebote wie Blue News, die ja auch Nachrichten anbieten, und die klassischen Boulevardmedien stehen am Schluss.

Das Vertrauen in die SRG-Angebote ist also hoch – dabei werden sie derzeit stark kritisiert, gerade von rechter Seite.
Man hat die Befragten auch nach ihrer politischen Selbsteinschätzung gefragt. Es gibt gewisse Unterschiede, wenn man nur diejenigen nimmt, die sich politisch «links» oder «rechts» zuordnen: Bei den Rechten ist das Vertrauen in die SRG, aber auch in andere Medienmarken etwas tiefer. Ihre Rangliste würde jedoch etwa gleich aussehen: Auch bei den Rechten liegen die SRG-Angebote an der Spitze, einfach nicht mit dem gleichen Vorsprung wie bei der Mitte-Gruppe und den Linken.

Wenn Sie die Schweizer Medien betrachten: Sehen Sie Bemühungen um mehr Vertrauen beim Publikum?
Hie und da, aber es könnte mehr sein. Der «Tages-Anzeiger» hat letzthin bei einer Abstimmung nochmals aufgezeigt, wie die Abstimmungsempfehlungen der Zeitung zustande kommen. Solche Sachen kann man nicht oft genug erklären. Journalistinnen und Journalisten denken häufig, die Leserschaft wisse doch, wie bestimmte Dinge ablaufen. Doch das trifft nicht zu. Es braucht generell mehr Aufklärung, wie Journalismus funktioniert. Durch die Medienhäuser, aber auch durch die Schulen. Die Medienhäuser müssten bei den Publikumssegmenten, die sie ansprechen wollen, mehr Soul-Searching betreiben, die Leute noch stärker beteiligen und besser hören, welche Themen sie interessieren.

Konstruktiver Journalismus könnte auch einen gewissen Effekt haben. Es gibt ein Bedürfnis nach Nachrichten, die Lösungen präsentieren; das haben wir bei den Umfragen für den Digital News Report gesehen. Manche Medienhäuser haben es vor einigen Jahren damit versucht. Soweit ich weiss, haben sie es aber aufgegeben. Ich finde, sie sollten dranbleiben und es nochmals versuchen.

* Nic Newman, Richard Fletcher, Craig T. Robertson, Amy Ross Arguedas, Rasmus Kleis Nielsen: Reuters Institute Digital News Report 2024

** Das Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) ist seit 2016 Kooperationspartner des Reuters Institute und mitverantwortlich für die Schweizer Studienergebnisse des Digital News Report. Es gibt den «Länderbericht Schweiz» des Digital News Report heraus.

Edito-Weninar zum Thema Medienvertrauen mit Linards Udris

am 14. November, 17:30 bis 18:30 Uhr
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